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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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es oft genug miterlebt. Sonst waren es immer die gegnerischen Schiffe gewesen, die ein solches Schicksal ereilt hatte. Aber jetzt bestand kein Zweifel mehr. Die Maddy würde untergehen. Verdammt, wie hatte Bannon solch einen Fehler machen können! In ihrer Zeit als Zögling des Captains hatte Jolly auf drei Schiffen gelebt, doch die Maddy war ihr von allen am vertrautesten geworden. Sie sinken zu sehen war, als verlöre sie auf einen Schlag ihr Zuhause und einen guten Freund.
    Für die Piraten gab es nur eine einzige Hoffnung: Es musste ihnen gelingen, in der wenigen Zeit, die ihnen blieb, die spanische Galeone zu kapern. Sonst würden sie mitsamt der Maddy auf den Grund des Meeres sinken.
    Verzweifelte Entschlossenheit brachte Jolly erneut auf die Beine. Sie zog eine weitere Flasche hervor, und diesmal traf sie. Genauso mit der nächsten und übernächsten. Noch immer beugten sich keine Schützen über die Reling, um sie unter Feuer zu nehmen. Dann aber schob jemand den Kopf aus einer der Geschützpforten, entdeckte Jolly und brüllte: »Sie haben eine Quappe! Sie haben eine gottverdammte Quappe dabei!«
    Ein zweiter Kopf erschien. »Es gibt keine Quappen mehr. Sie sind alle…« Da entdeckte er Jolly. Seine rußumrandeten Augen weiteten sich. »Oh Gott, verflucht, sie haben tatsächlich eine Quappe!«
    Jolly schenkte den Männern ein verbissenes Lächeln. Sie zielte und warf eine Flasche haarscharf an den Gesichtern vorbei ins Innere der Galeone. Wirbelndes Grün schoss hinter den Köpfen hervor, einen Augenblick später waren sie nicht mehr zu sehen.
    Jolly rannte weiter. Warf. Rannte. Und warf erneut. Der Gedanke an ihre Freunde trieb sie vorwärts. Sie achtete nicht mehr auf mögliche Gegner, auf ihre Deckung oder auf die Umrisse der Haie, die vor ein paar Minuten unter der Wasseroberfläche erschienen waren. Hier und da sah sie silbergraue Rückenflossen durch die Wogen schneiden wie Säbelklingen, aber sie verschwendete keinen Gedanken daran. Stattdessen schleuderte sie eine Flasche nach der anderen, bis ihre Umhängetasche leer war.
    Sie war jetzt fast am Bug der Galeone angekommen. Aus allen oberen Geschützpforten quoll giftgrüner Rauch. Schüsse wurden keine mehr abgefeuert. Das Deck des Spaniers war mit dichten Schwaden eingenebelt, die einen weiteren Kampf unmöglich machten. Selbst die geschnitzten Gesichter rund um die Reling schienen vor lauter Qualm Grimassen zu schneiden.
    Wenn es Bannon nun gelingen sollte, die Maddy - Ein Knirschen ließ Jolly herumwirbeln. Sie jubelte vor Erleichterung. Das sinkende Piratenschiff steuerte mit vollen Segeln auf das Heck der spanischen Galeone zu. Es sah aus, als hätte das aufgemalte Maul am Bug der Maddy die Lefzen hochgezogen, um ein letztes Mal spöttisch die Fänge zu blecken. Jolly brachte sich mit ein paar Sätzen in Sicherheit. Kurz darauf prallte Heck gegen Heck. Enterhaken und Wurfleinen flogen zum Deck des Spaniers hinüber. Eine wilde Piratenhorde, die sich gegen den grünen Qualm Tücher vor Mund und Nase gebunden hatte, kletterte am Rumpf des größeren Schiffes empor. Jolly kannte jeden Einzelnen von ihnen, manche schon ihr Leben lang, andere erst einige Monate. Die Piraten trugen Kleidung aus aller Herren Ländern: orientalische Pluderhosen, Baumwollhemden aus den Kolonien, Westen aus Italien und immer wieder Stückwerk aus Resten spanischer Uniformen. Manche hatten sich breite Schärpen umgebunden, einer trug als Umhang gar eine ausrangierte Totenkopfflagge. Wie kunterbunte Ameisen schwärmten sie am Holz hinauf, hangelten sich an Seilen entlang oder schwangen von den Spieren der Mageren Maddy hinüber in die Takelage ihrer Gegner.
    Ganz kurz erhaschte Jolly einen Blick auf Captain Bannon, strohblond und wütend wie ein Derwisch, der an einem Strick und mit dem Säbel zwischen den Zähnen zu den Spaniern hinüberfegte. Ihr war, als träfen sich ihre Blicke in diesem kurzen Moment, und sie spürte, dass er zu ihr herablächelte, trotz des Tuchs vor seinem Gesicht; sie erkannte es nur an seinen Augen, die so viel Freundlichkeit ausstrahlen konnten, dass Jolly sich manches Mal wunderte, warum seine Opfer ihm ihre Schiffe nicht freiwillig übergaben, allein aufgrund der Wärme in diesem Blick, die so gar nicht zu seiner wilden Entschlossenheit und Skrupellosigkeit passen wollte.
    Jolly riss triumphierend einen Arm in die Höhe, stieß einen Jubelruf aus, dann war auch sie an der Bugwand der gegnerischen Galeone, packte eines der herabhängenden Seile
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