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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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erstaunt, wie leicht und schmerzlos das ging. Mit jedem Atemzug schien sie auch ein Stück ihrer Vergangenheit einzusaugen. Noch bevor ihr Blick auf das Gesicht des blonden Jungen fiel, kehrten die ersten Bruchstücke ihrer Erinnerung zurück.
    »Wo sind die anderen?«, entfuhr es ihr. »Und wo bin -«
    »In Sicherheit.« Das Lächeln des Jungen flackerte; er versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen. »Hier tut dir keiner was.«
    Jollys Blick wanderte durch den Raum. Die Einrichtung war einfach und spärlich. Auf einem Stuhl neben dem offenen Fenster lagen ihre Sachen, ordentlich gefaltet. Jolly entdeckte zuoberst ihren Gürtel, daneben den Dolch.
    Zu weit weg, um von hier aus heranzukommen. Sie richtete sich langsam auf. Falls der Junge sich näher zu ihr vorbeugte, konnte sie ihn vielleicht an der Kehle packen, oder besser noch, mit dem Handkantenschlag außer Gefecht setzen, den Captain Bannon ihr beigebracht hatte.
    »Du traust mir nicht, ich kann das spüren.« Er zuckte die Schultern. »Meistens liege ich damit richtig.«
    Jolly zögerte. Da war etwas in seinem Lächeln . Er sah nicht aus, als führte er irgendetwas im Schilde. Vielleicht sagte er die Wahrheit.
    »Wo bin ich hier?«
    »Auf einer der äußeren Inseln. Östliche Bahamas, falls dir das was sagt.«
    Dann konnte sie nicht lange im Wasser getrieben haben, allerhöchstens ein paar Stunden. »Ich muss zurück zu meiner Mannschaft.«
    »Es gibt kein Boot auf der Insel.«
    Sie glaubte ihm nicht. Niemand lebte so abgeschieden. Aber sie brauchte kein Boot. Zur Not würde sie das Risiko eingehen und zu Fuß über die See laufen. Bannon und die anderen Piraten waren ihre Familie, sie musste - Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Die Spinne! Sie hat mich gebissen!«
    Der Junge deutete nickend auf ein verkorktes Fläschchen neben dem Bett. »Mutters Allzweckwaffe. Hilft gegen Fußpilz, Kopfjucken, Zahnschmerz und die meisten Insektengifte. Na ja, manchmal jedenfalls. Mein Vater schwört, es ist gut gegen Haarausfall. Sie haben’s vom Festland mitgebracht, damals, als wir hierher gekommen sind. Es ist sehr wertvoll, sagt Mum, deshalb verwendet sie es nur im Notfall.«
    Jolly verzog das Gesicht. »Bei Haarausfall?«
    Er grinste, »Du hast Dad noch nicht erlebt, wenn er Haare in seiner Bürste findet.« Jetzt lachte er. »Zum Glück benutzt er sie nur einmal die Woche.«
    »Wie heißt du?«
    »Munk. Und du?«
    »Jolly.«
    »Bist du… ich meine, bist du so was wie ’ne Piratin?«
    »Ja«, sagte sie betont beiläufig, aber in Wahrheit war sie ungemein stolz darauf. »Ich bin die rechte Hand von Captain Bannon.« Das war vielleicht ein wenig übertrieben, aber was wusste schon solch ein Bauerntrampel über diese Dinge?
    Munks Augen leuchteten. »Der Captain Bannon? Der Seeteufel der Antillen? Derselbe Bannon, der vor ein paar Jahren Ossorios Armada im Golf von Campeche an der Nase herumgeführt hat? Und der die Tochter des spanischen Vizekönigs aus Maracaibo entführt hat?«
    Jolly rümpfte die Nase. »Das Miststück hat mich behandelt, als wäre ich ihre verdammte Zofe. Aber nicht mit mir. Ich hab ihr ein Schlafmittel ins Essen gemischt und ihr dann was auf den Hintern tätowiert - da war sie endlich still.«
    »Bitte eintreten! Das warst du?« Munks Begeisterung kannte kaum noch Grenzen. »Die ganze Karibik hat darüber gelacht… zumindest haben das die Händler erzählt.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Das bist wirklich du gewesen? Damals kannst du doch höchstens sechs oder sieben gewesen sein.«
    »Sechs. Bannon hat mir Schreiben und Lesen beigebracht, da war ich gerade mal vier.« Sie sah ihm an, dass er immer noch nicht sicher war, ob er ihr glauben sollte. Aber das war ihr egal. Sie war am Leben, obwohl sie von einer der Spinnen gebissen worden war. Bedeutete das nicht, dass es auch für Bannon und die anderen noch Hoffnung gab?
    »Hör zu«, sagte sie aufgeregt. »Meine Mannschaft… sie sind alle von den Spinnen gebissen worden. Es war eine Falle. Wir müssen so schnell wie möglich mit diesem Gegenmittel zurück und -«
    Er schüttelte den Kopf, sein Lächeln verschwand.
    »Nein.«
    Ihre Züge verhärteten sich. »Doch, natürlich! Ist mir gleich, ob dir das passt oder nicht.« Sie schwang die Beine über die Bettkante und packte in derselben Bewegung das Fläschchen mit dem Mittel.
    Munk rührte sich nicht. »Das hat keinen Zweck. Du hast drei Tage geschlafen. Das Gift tötet innerhalb von einem Tag. Selbst wenn du deine Leute da draußen
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