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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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geplant hatte. Und wenn sie ihm tatsächlich nicht mehr helfen konnte, würde sie alles daransetzen, herauszubekommen, wer hinter der Tat steckte. Das war das Mindeste, das sie ihm schuldig war.
    Munk, der vor Jolly herging, war verstummt, vermutlich hatte er gemerkt, dass sie nicht bei der Sache war. Schweigend streiften sie durch das Dickicht des Regenwaldes, unter Baumfarnen hindurch, die so hoch waren wie fünf Männer und von deren Blättern selbst am Mittag noch Wasser tropfte; vorbei an wilden Orchideen und dem größten Hibiskus, den Jolly je gesehen hatte. Es musste fast Mittag sein, und die Luft hier im Urwald war schwül und drückend, ganz anders als auf der offenen See. Jolly fiel das Atmen schwer.
    Erst als sie die Kokospalmen am Strand erreichten, fühlte sie sich besser. Der Anblick des Meeres beruhigte sie.
    Munk drehte sich zu ihr um und zog eine flache Holzschachtel aus einer Ledertasche, die an seinem Gürtel befestigt war.
    »Hier«, sagte er, »vielleicht nützt das was.« Er klappte die Schachtel auf und drehte die Öffnung so, dass Jolly hineinschauen konnte.
    Darin lag der Körper einer toten Spinne, so groß wie eine Kinderhand.
    »Ich hab sie in der Galionsfigur gefunden. Siehst du die Zeichnung auf ihrem Rücken? So eine hab ich hier auf der Insel noch nie gesehen. Wenn du rausbekommst, wo sie herkommt, wirst du vielleicht erfahren, wer euch in die Falle gelockt hat.«
    Jolly sah von der Spinne zu ihm auf. »Woher wusstest du, dass ich .«
    Munk hob die Schultern. ». dass du daran gerade gedacht hast?« Er lächelte leicht. »Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich so was spüren kann. Und - um ehrlich zu sein - schwer war es wirklich nicht zu erraten, so wütend wie du eben durch das Unterholz gestapft bist.«
    Jolly musste wider Willen lachen. Munk war anzusehen, dass er sich freute, sie abgelenkt zu haben, doch er wurde rasch wieder ernst. »Jedenfalls ist es die beste Spur, die du hast.«
    »Kein schlechter Anfang«, sagte Jolly. »Danke schön.«
    Sie streckte die Hand nach der Schachtel aus, doch er ließ den Deckel zuschnappen und schob sie wieder in seine Tasche. Jolly runzelte die Stirn.
    »Lass mich mit dir gehen«, sagte er. »Sonst sterbe ich hier irgendwann vor Langeweile.«
    »So einfach ist das nicht.« Sie unterdrückte ihren Ärger und versuchte, diplomatisch zu sein. Natürlich würde sie ihn niemals mitnehmen. Sie war eine Piratin, er nur ein Farmersjunge. Sie konnte übers Wasser gehen, er hatte nicht mal ein Boot.
    »Ich will auch raus aufs Meer«, sagte er beharrlich.
    »Ich will Piraten sehen und andere Inseln kennen lernen. Ich werde nie ein Tabakfarmer werden wie mein Vater. Lieber laufe ich von hier weg.« Er hatte das einfach so dahingesagt und zuckte jetzt kaum merklich zusammen. »Segle ich weg, meine ich.«
    Jolly seufzte. »Mal sehen, was sich machen lässt.«
    Sie musste nur den richtigen Zeitpunkt finden, um ihm die Spinne abzunehmen. Sie wollte ihn nicht schon wieder angreifen, das war nicht nötig. Heute Nacht würde sie in sein Zimmer schleichen und die Schachtel stehlen.
    Munk befestigte die Tasche wieder an seinem Gürtel. »Komm mit, ich zeig dir die Felder.«
    Sie interessierte sich nicht für Tabakanbau, folgte ihm aber trotzdem durch einen Dschungelstreifen, hinter dessen verwobenem Unterholz sich eine Lichtung im Sonnenschein abzeichnete.
    »Hast du nicht gesagt, ihr lebt allein auf der Insel, du und deine Eltern?«
    »Und?«
    »Dein Vater kann die Felder doch unmöglich ohne Hilfe bewirtschaften.«
    »Tut er auch nicht.«
    »Also gibt’s doch noch andere Arbeiter?«
    Munk grinste breit. »Ach was«, sagte er lachend.
    »Zu irgendwas müssen schließlich all die Geister gut sein, oder?«

Muschelmagie

    Im ersten Moment blendete sie der Sonnenschein so sehr, dass sie nur die Umrisse der vorderen Tabakpflanzen wahrnahm und dahinter ein braungrünes Durcheinander, als hätte ein Maler auf seiner Palette die Farben ineinander laufen lassen.
    Dann sah sie etwas wie Nebelschwaden, die zwischen den Pflanzenreihen umherwehten. Nebelschwaden, die beim näheren Hinschauen menschliche Umrisse besaßen. Nebelschwaden mit Gesichtern.
    »Du liebe Güte!« Jolly blieb wie angewurzelt stehen. »Sind die… echt?« Was für eine dumme Frage, aber sie kam ganz wie von selbst über ihre Lippen.
    »Na klar.«
    Vorsichtig näherte sie sich den vorderen Pflanzen. Ein Geist huschte daran entlang, pflückte von unten nach oben die klebrig-haarigen Blätter und warf sie
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