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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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blickte ein letztes Mal über die Schulter zurück zum Dschungel, dann setzte er den linken Fuß aufs Wasser. Er hatte das zum letzten Mal vor über einem Jahr getan, ebenfalls heimlich, nur um zu sehen, ob er die Fähigkeit überhaupt noch besaß. Aber seine Mutter hatte Recht gehabt, als sie gesagt hatte, er würde dieses Talent niemals verlieren. Er war der einzige Mensch auf der Welt, behaupteten sie und sein Vater, der über diese Kraft verfügte; sie selbst jedenfalls, dessen war er sicher, konnten nicht übers Wasser gehen.
    Eine Quappe sei er, hatten sie gesagt. Und dass es Menschen gebe, die ihm seine Fähigkeit neiden und ihm Böses antun würden, wenn er sich ihnen offenbarte. Das war alles. Keine weiteren Erklärungen.
    Eine Quappe, also. Die letzte auf der ganzen weiten Welt. Glaubte er daran? Er war nie in seinem Leben von der Insel heruntergekommen, und weder der Geisterhändler noch seine Eltern hatten ihm je eine befriedigende Antwort auf seine Fragen geben können.
    Munk lief los. In der Brandung war es immer am schwierigsten, das Gleichgewicht zu halten. In der Bucht gab es kaum Wellen, sie brachen sich draußen an den Riffen, deshalb kam er einigermaßen voran. Auf offener See wäre er wohl schon nach zwei, drei Schritten gestürzt. Vielleicht war seine Fähigkeit überhaupt nur dazu gut, über stille Buchten und ruhige See zu laufen. Falls sie überhaupt zu irgendetwas nütze war.
    Je sicherer er sich fühlte, desto schneller wurde er. Nicht allein aus Übermut, sondern auch weil er so rasch wie möglich zurück ans Land wollte. Himmel, es würde wirklich eine Menge Ärger geben, wenn sein Vater ihn sah.
    Es dauerte nicht lange, bis er bei den Riffen angekommen war. Munk bemerkte im Vorüberlaufen, wie dicht sie mit Muscheln überzogen waren. Vielleicht konnte er später noch einmal zurückkehren und ein paar davon ablösen. Jetzt aber hatte er Wichtigeres zu tun.
    Das längliche Holzding ragte halb zwischen den Felsen hervor, umspült von brodelnder Gischt. Es war eine Galionsfigur, das erkannte er jetzt, und mit ein wenig Glück konnte er den Dreizack des hölzernen Neptun packen, ohne seine Füße in den trügerischen Meerschaum zu setzen. Ja, geschafft! Ohne allzu große Mühe zog er die Figur zu sich heran. Mitten im Gesicht des Meergottes bemerkte er eine kleine Öffnung. Munk unterdrückte seine Neugier. Er würde später noch Zeit genug haben, das Ding zu untersuchen, hier in der Bucht war es zu gefährlich. Er verstärkte seinen Griff und schleppte die Figur landeinwärts, bis Sand unter dem nassen Holzrücken knirschte und er selbst wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
    Munk fiel auf die Knie und beugte sich über die Figur. Sie war vollkommen sauber, nichts hatte sich auf ihrer Oberfläche festgesetzt. An einer Seite befanden sich ein paar lange Furchen, die aussahen wie Bissspuren. Das Holz war dort sehr hell. Lange konnte die Figur nicht im Meer getrieben haben. Ob sie ein Wrackteil der Seeschlacht vom Mittag war?
    Munk nahm sich die Öffnung im Gesicht der Galionsfigur vor. Die Sonne war in der Zwischenzeit noch tiefer gesunken. Sie hing zwischen den Dschungelwipfeln wie eine glühende Frucht. Tiefe Schatten lagen auf dem handtellergroßen Viereck im Holz. Munk musste die Figur ein wenig zur Seite rollen, um besser hineinschauen zu können.
    »Bei Morgans rotem Bart!«, entfuhr es ihm.
    Er sagte es noch mal und noch mal, bis er endlich den Einstieg am Rücken der Figur fand und das leblose Mädchen heraus auf den Strand zog.
    Sie hatte langes pechschwarzes Haar, trug weite braune Baumwollhosen und ein weißes Männerhemd, das sie mit einem Gürtel um ihre schmale Taille zusammengezurrt hatte. Vier oder fünf Goldringe baumelten an jedem ihrer Ohren. Auf beiden Seiten ihrer Nasenwurzel, genau zwischen den Augen, befanden sich zwei winzige Diamanten, verbunden durch einen unsichtbaren Stecker unter ihrer gebräunten Haut.
    Ihre Lider waren geschlossen, aber der Sonnenuntergang brach sich auf den geschliffenen Facetten der beiden Edelsteine, und Munk kam es vor, als blickte das Mädchen aus funkelnden Insektenaugen zu ihm empor.
    Als Jolly erwachte, war die Welt von einem goldenen Glanz erfüllt, gelbroten Lichtstrahlen, die als Fächer durch Ritzen in einem palmblattgedeckten Dach fielen. Staub tanzte darin wie Schwärme winziger Fische.
    »Guten Morgen«, sagte eine Stimme neben ihr.
    »Verstehst du mich . ich meine, verstehst du meine Sprache?«
    Jolly drehte den Kopf,
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