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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin
Autoren: Martina Kempff
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ehe sie das Bewusstsein verlor.
    Judiths und Ruadberns Todeskampf dauerte eine Woche. Bis zum Schluss wachte die Astronoma bei ihnen. Bevor auch Ruadbern in die Sprachlosigkeit verfiel, hatte er ihr nicht nur seine Aufzeichnungen überreicht und die Geschichte des Planetentischs erzählt, sondern sie auch gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass Judiths letzter Wille erfüllt werde. Den einzig ihr verbliebenen Besitz, die Güter in Tours, sollte die Abtei Sankt Martin erhalten.
    Ruadbern starb am 21. April, zwei Tage nach der Frau, die er sein ganzes Leben lang geliebt hatte. Im Tod wurde das Paar getrennt. Er fand seine letzte Ruhe auf dem Gottesacker der Abtei, und sie wurde in jener Kirche bestattet, in der sie ihre letzte und wahrscheinlich einzige Liebe hatte heiraten wollen.
    Wenige Monate nach Judiths Tod fiel der Britenherzog Nomenoi in die Bretagne ein und brachte solch ein Elend mit sich, dass die Menschen Mehl mit Staub vermischen mussten, um überhaupt Brot backen zu können. Eine Wikingerhorde eroberte die Stadt Nantes. Aus Unzufriedenheit mit ihrer Beute erschlugen die Nordmannen den Bischof am Altar und metzelten alle Bürger nieder, die sich in die Hauptkirche geflüchtet hatten. An vielen anderen Reichsgrenzen brachen gleichfalls Unruhen aus. Alle alten Gegner wussten, dass sich die Herrscher des Reiches mit diesen Angelegenheiten nicht befassen konnten, da sie in Verdun zusammensaßen, um sich endlich untereinander zu einigen. Das geschah auch, und zwar genauso, wie Judith es gewünscht und bereits vor Langem vorgeschlagen hatte. Karl erhielt den franzischen Westteil, Ludwig II. die östlichen deutschen Gebiete und Lothar einen Mittelstreifen, der von den friesischen Inseln bis zu den Westalpen reichte.
    Aus diesem Vertrag von Verdun sollten Jahrhunderte später die Länder Frankreich und Deutschland hervorgehen.
    Lothar blieb die Kaiserwürde, doch anders als einst in der Ordinatio imperii vorgesehen, durfte er nicht über seine Brüder herrschen, sondern war diesen gleichgestellt.
    Pippin II., der Erbe des verstorbenen vierten Bruders, ging leer aus. Da er Aquitanien nicht freiwillig aufgeben wollte, blies Karl der Kahle wieder einmal zum Angriff.
    Einen dieser Feldzüge gegen seinen Neffen wollte der junge König nutzen, um gleich auch noch in Septimanien einzufallen und mit Bernhard von Barcelona abzurechnen, der unverdrossen auf seiner Unabhängigkeit beharrte.
    Karls Kundschafter spürten den Grafen noch vor der Grenze Septimaniens in einem Forst bei Toulouse auf. Der König befahl seinen Heerführern, abwartend im Hintergrund zu bleiben. Er wolle zunächst versuchen, allein mit Bernhard zu verhandeln, sagte er, und gab seinem Hengst die Sporen. Bernhard, der aus der Entfernung seinen Sohn Wilhelm zu erkennen vermeinte, ritt dem Ankömmling fröhlich entgegen. Erst, nachdem dieser unmittelbar vor ihm sein Pferd gezügelt hatte, erkannte er seinen Irrtum. Zu Verhandlungen kam es nicht. »Stirb, Freveler, der du das Bett meines Vaters geschändet hast!«, brüllte Karl und schlug seinem leiblichen Vater das Haupt ab.

Epilog
    »Die Rosa canina«, erklang eine Frauenstimme, »wie seltsam, dass sie hier blüht und noch dazu so wohl gedeiht!«
    Gerswind hielt mit dem Stutzen ihrer Hagebuttenhecke inne, wischte sich ein paar widerborstige weiße Haarsträhnen aus dem leicht geröteten Gesicht und spähte über das Gebüsch. Eine freundlich lächelnde Frau in grauer Pilgertracht stand, auf einen Wanderstab gestützt, vor der Hecke.
    »Überhaupt nicht seltsam, ich pflege sie gut«, erwiderte Gerswind, »Sie hilft gegen meine Gicht und sorgt dafür, dass mir und anderen die Zähne langsamer ausfallen. Außerdem hat Karl der Große selbst ihren Anbau verordnet.«
    »Wohl wahr. Vor genau einem halben Jahrhundert in seinem Capitulare de villis vel curtis imperialibus«, bestätigte die Fremde. »Er hat sich um alles in seinem Reich gekümmert, selbst noch um die niedrigste Pflanze. Und doch konnte er nicht verhindern …«
    »Bist du gekommen, um mit mir über den alten Kaiser zu reden?«, unterbrach Gerswind sie. Trauer, nicht Misstrauen schwang in ihrer Stimme mit.
    »Vielleicht später. Ich komme mit einem Auftrag der verstorbenen Kaiserin oder, besser gesagt, ihres getreuen Ruadberns.«
    Gerswinds hellblaue Augen, von unzähligen Fältchen gerahmt, wurden eine Spur größer. Ohne auf die Schmerzen in ihrer Hüfte zu achten, eilte sie um die Hecke herum und ergriff beide Hände der fremden Frau.
    »Ich
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