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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin
Autoren: Martina Kempff
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Wächtern Worte zu entlocken, und war schließlich selbst verstummt.
    »Man darf mit ihr nicht reden«, wies der hinter ihnen gehende Anführer die beiden Männer an: »Befehl vom Kaiser!«
    »Kaiser!« Voller Verachtung spie sie das Wort aus. Lothar war kein Kaiser, sondern ein abgesetzter Mitkaiser. Der wirkliche Kaiser, ihr Gemahl, war sein Gefangener, dem eigenen Sohn so ausgeliefert wie sie jetzt diesen fremden Männern.
    »Sie kann offenbar gar nicht sprechen«, sagte der größere Torwächter und strich sich über den dunkelblonden Vollbart. Er ließ seinen Blick über den vor Kälte zitternden Frauenleib gleiten, um dessen Konturen sich die nasse Kleidung anschaulich schmiegte.
    »Und was darf man sonst nicht?«, fragte er gedehnt.
    »Sie freilassen«, erwiderte ihr Wächter lachend. »Im Übrigen könnt ihr mit ihr machen, was ihr wollt. Und sollte sie unter eurer Obhut sterben, dann ist das eben ihr Schicksal. Niemand wird euch im Heimatland des Kaisers deswegen anklagen.«
    Lothars Heimatland war Italien. Er hatte sie also in das frühere Langobardengebiet verschleppen lassen, den einzigen ihm vom Vater noch überlassenen Reichsteil. »Und lasst niemanden zu ihr in den Kerker, der sich nicht als Abgesandter des Kaisers ausweisen kann.«
    Kerker? Sie traute ihren Ohren kaum. Seit Jahrhunderten wurden vom Thron gestoßene unliebsame Verwandte in recht gemütliche Klöster abgeschoben. Das hatte sie selbst ja auch schon einmal überlebt. Was für einen Sinn hätte es, sie in einen Kerker zu werfen? Sollte sie da wie ein gefangenes Tier verrecken? Sie begann heftiger zu zittern. In einem abgelegenen italischen Verlies würde keiner ihrer Getreuen nach ihr suchen.
    Der kleinere Torwächter kniete auf dem Boden und machte sich an einer hölzernen Falltür zu schaffen.
    »Schaut her, das Schloss der Kaiserin!«, stieß er meckernd aus und hielt ein angerostetes Fallriegelschloss hoch. Er wuchtete die Bodentür zur Seite und legte ein Kellerloch frei, aus dem modriger Geruch stieg.
    Der vollbärtige Torwächter versetzte Judith einen Schlag auf die Schulter. Wie aus Versehen rutschte seine Hand ab und blieb kurz auf ihrer Brust liegen. Mit der anderen Hand deutete er in das Loch. Judith beugte sich vor, da sie aber weder eine Leiter sehen noch in der Dunkelheit die Tiefe abschätzen konnte, zuckte sie ratlos mit den Schultern.
    »Wenn sie selbst springt, bricht sie sich vielleicht nichts«, schlug der Bartträger vor.
    Rasch setzte sich Judith auf den Rand des Lochs, schloss die Augen und sprang. Im Fallen dachte sie nur: Wofür?

Erstes Buch
    Die Brautschau

1
    Aus den Chroniken der Astronoma
    Im Jahr des Herrn 814
    Lasst mich, ich sterbe besser ohne eure Heilmittel, sagt der Kaiser zu seinen Ärzten und schließt die Augen.
    Karl der Große, der ein mächtiges Reich befriedet hat, geht in der dritten Stunde des 28. Januar selbst in den ewigen Frieden ein. Eine Lungenentzündung hat den mächtigen Mann gefällt. An seinem Totenbett spricht keiner aus, was jeder denkt: Dieses Ereignis war nicht vorgesehen.
    Die Tatsache, dass Karl ein Sterblicher war, haben alle verdrängt, vermutlich sogar der Kaiser selbst. Warum sonst hat er die vor Langem angekündigte Änderung seines persönlichen Testaments immer wieder hinausgezögert? Nicht eingebaut, dass auch seine außerehelichen Kinder und deren Mütter gut versorgt und die Lebensgefährten seiner Töchter in ihren Ämtern bleiben sollen? Das Eheverbot für seine Töchter nicht aufgehoben? Nicht aufschreiben lassen, dass er in seinem Aachen beerdigt werden wollte?
    Vielleicht hat sich der Kaiser aus Sorge, wirklich sterben zu müssen, wenn alles geregelt war, nicht an eine endgültige Abfassung seines Testaments gewagt. Doch jetzt hat der Tod den Sieg über jenen Mann davongetragen, der sechsundvierzig Jahre lang die Geschicke der westlichen Christenheit gelenkt hat. Die Ratlosigkeit der Trauernden, die Furcht vor einer ungewissen Zukunft ohne Karl wird auf die nächstliegende Frage verlagert: Wohin mit dem Leichnam des Kaisers?
    Natürlich gehört er in die Aachener Pfalzkapelle, die er auf eigene Kosten hat erbauen lassen! Verzweiflung, Bestürzung und Schwermut entladen sich in hektische Betriebsamkeit. Der Kirchenboden im Atrium wird augenblicklich aufgebrochen und ein Marmor-Sarkophag herbeigeschafft, dessen Reliefs den Raub der Persephone darstellen. Darin wird Karl wenige Stunden nach seinem Tod beerdigt, noch vor der Samstagsvigil. Warum die Eile? Aus Angst,
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