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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin
Autoren: Martina Kempff
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alle Richtungen des Reichs ausgesandt worden«, erwiderte der Mann ausweichend.
    »Was für eine Angelegenheit?«
    »Eine Angelegenheit des Herzens.«
    Graf Welf hätte beinahe laut herausgelacht. Wer hat Kaiser Ludwig wohl geraten, einen Kriegszug derartig zu bezeichnen? Oder verlangt er gar von mir, mich an der Niederschlagung eines neuerlichen Aufstands zu beteiligen?
    Peinlich frisch war noch die Erinnerung an die letzte Erhebung, die der Kaiser ein halbes Jahr zuvor mit Blendung des Königs Bernhard von Italien hatte ahnden lassen. Dass Bernhard, der Neffe des Kaisers, Sohn seines Bruders Pippin, an dieser Tortur gestorben war, hatte große Teile des Adels gegen Ludwig aufgebracht. Es rumorte deswegen noch immer im Land.
    Die durchnässten Pferde schnaubten und schüttelten sich so heftig, dass es wie ein Sprühregen in die Schüsseln auf dem Abendtisch spritzte. Graf Welf befahl einem Knecht, die Tiere zu versorgen, und einer Magd, die triefenden Mäntel der Gäste einzusammeln. Dann begleitete er die Fremden zur Feuerstelle. Während sie ihre kalten Hände wärmten, zog er das Pergament aus der Hülle und überflog im Schein der Flammen das Geschriebene. Leise lächelnd wollte er es an den Wortführer zurückreichen, doch der lehnte ab.
    »Euer Haus ist das letzte auf unserer Liste. Ihr dürft die Schrift behalten. Wir reiten morgen zurück. Mit dem Gewünschten, falls es der Maßregel entspricht. Woran ich keinen Zweifel habe, auch wenn Frau Stemma noch die erforderlichen Untersuchungen vorzunehmen hat.«
    Er nickte vielsagend zur Abendtafel hin, an der Graf Welf soeben noch mit seinen fünf Kindern gesessen hatte. Sein Blick blieb an Judith hängen, die als älteste Tochter die Hausfrau vertrat. Nachdem deutlich geworden war, dass die Fremden nicht in böser Absicht ins Haus gestürmt waren, bedeutete sie jetzt mit anmutigen Gesten dem taubstummen Bediensteten, mehr Wein und Speise aufzutragen. Ihr hüftlanges Haar, schien wie von Goldfäden durchwirkt zu sein, und ihr zart gezeichnetes Profil hätte einem Engelsbild als Vorlage dienen können.
    »Meine Gemahlin ist derzeit abwesend«, bemerkte Graf Welf. »Ihr begreift, dass ich mich mit ihr über die Angelegenheit beraten muss.«
    Er bat die Gäste, denn als solche hatten sie jetzt betrachtet zu werden, sich mit ihm an der Abendtafel niederzulassen.
    »Eine Beratung ist gar nicht erforderlich«, wandte der Sprecher des Grüppchens ein, als er auf der Bank neben Welfs Sohn Konrad Platz nahm. »Da hier ja nur ein einziges Mädchen infrage kommt.«
    Mit Unbehagen wandte er den Blick von des Grafen jüngster Tochter Hemma ab, deren Augen sich wild bewegten, jedes in eine andere Richtung. Dhuoda, die uneheliche Tochter Welfs, die ebenfalls zum Haushalt gehörte, nahm er nicht einmal wahr. Das schien ihr Schicksal zu sein, und sie wusste es. Sie war weder schön noch hässlich, weder klein noch groß, weder dick noch dünn, weder hell noch dunkel; sie war im wirklichen Sinn des Wortes unscheinbar. Selbst wer längere Stunden in ihrer Gegenwart verbrachte, hätte nicht vermocht, sie zu beschreiben, da es an ihr nichts zu beschreiben gab.
    »Die da!«, meldete sich die ältere Frau erstmals zu Wort und deutete mit einem knochigen Finger auf Judith, die sich wieder an das Kopfende des Tischs gesetzt hatte. Die Frau stand auf, zog aus ihrer Rocktasche ein Band und einen ungeschmückten kleinen Schuh aus steifem Leder. »Wir sollten gleich Maß nehmen, um sicherzugehen. Dann kann sich die Jungfer auf die morgige Abreise vorbereiten. Komm, Kind.«
    Judith blieb sitzen.
    »Darf ich fragen, wohin du mich diesmal verkaufen willst?«, wandte sie sich an ihren Vater. Ihre seltsam tiefe Stimme klang belustigt, doch ihre Augen funkelten kalt wie Saphire.
    Der Graf unterdrückte einen Seufzer. Er mochte gar nicht mehr daran denken, wie viele Bewerber Judith in den vergangenen vier Jahren ausgeschlagen hatte. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass eine seiner Töchter so viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und ihm derartiges Kopfzerbrechen bereiten könnte wie Judith. Söhne mussten geformt und sorgsam ausgebildet werden, um ihre Aufgaben in der Welt zu bewältigen; Töchter mussten nur anständig verheiratet werden. Von einer Tochter, die sich dieser Bestimmung widersetzte, hatte er noch nie gehört. Und jetzt lebte solch ein Geschöpf unter seinem Dach! Sie wolle keinesfalls Magd eines Mannes werden, hatte sie stets erklärt, und sie denke nicht daran, sich
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