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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin
Autoren: Martina Kempff
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Saint Denis könnte den Leichnam beanspruchen, weil Karl vor fünfundvierzig Jahren in einem Testament niedergeschrieben hat, dort neben seinen Eltern liegen zu wollen? War diese Verfügung durch den Bau seiner eigenen prächtigen Pfalzkapelle nicht hinfällig geworden? Und warum wird der Sarg mit den kostbaren Reliefs in die Erde versenkt? Angst vor der Zurschaustellung heidnischer Bilder? Angst vor Diebstahl oder Entweihung der Stätte durch des Kaisers Feinde?
    Wie ein gestrenger liebender Vater hatte Karl über alle seine Hand gehalten, und jetzt, da seine Sterblichkeit nicht mehr zu leugnen ist, geht allenthalben die Angst um. Auch in der Stadt Aachen scheint das Leben erloschen zu sein. In den Gassen herrscht gespenstische Stille. Als ahnten die Menschen der Karlstadt, dass sie sich nach dem Ende einer zuletzt sehr friedlichen Epoche auf ein ungewisses und unheilschwangeres Zeitalter vorbereiten müssen.
    Karls Sohn, Mitkaiser und Nachfolger, König Ludwig von Aquitanien, schickt eine Vorhut nach Aachen, um Ordnung zu schaffen. Man sperrt sofort seine Schwestern in jene Klöster, die der Vater ihnen geschenkt hat. Ihre Liebhaber sollen auf Ludwigs Befehl festgenommen werden. Ludwig will ihnen wegen erwiesener Unzucht selbst den Prozess machen. Alle flüchten, bis auf den Waffenmeister Hedoin. Der wird im Kampf von Ludwigs Schergen niedergestreckt. Aus Kummer darüber stürzt sich Hedoins Lebensgefährtin, Ludwigs Schwester Hruodhaid, vom Dach des Palatiums in den Tod.
    Ludwigs Stoßtrupp dringt ins Frauenhaus ein, schlägt dem Eunuchen Achmed, der auch nach dem Tode Karls das Gebäude zu verteidigen sucht, den Kopf ab, treibt die Friedelfrauen des toten Kaisers mit Peitschenhieben auf die Straße, plündert die prächtig ausgestatteten Gemächer und setzt das gesamte Gebäude in Brand. Karls uneheliche Kinder werden in Verliese geworfen. Aus Angst, zu den verderbten Dirnen gezählt zu werden, nach denen Ludwigs Häscher Ausschau halten, rennen weibliche Hofbedienstete davon oder verschmieren sich die Gesichter mit Asche. Die Hütten aller Freimädchen werden niedergebrannt.
    Als der neue Kaiser einen Monat nach dem Tod des Vaters in Aachen einreitet, weist er den Vorwurf von sich, den Schwur gebrochen zu haben, den er bei der Krönung zum Mitkaiser geleistet hat: sich um alle Familienangehörigen liebevoll zu kümmern. Genau das tue er, versichert Ludwig, die Kaiserfamilie werde endlich mit gutem Beispiel vorangehen. Alle Welt solle wissen: Gott stehe auf seiner Seite.
    Im Jahr 818
    Das Pochen an der Pforte zur Haupthalle wurde vom grellen Krachen des Donners verschluckt. Unmittelbar über dem Hauptsitz des Grafen Welf in Altdorf tobte ein gewaltiges Novembergewitter und sandte in rascher Folge Blitze aus. Diese drangen jedoch nicht in den fensterlosen Raum des Mittelbaus, in dem die Familie schweigend an der Abendtafel saß. Der Donner war Botschaft genug; Angst um die hölzernen Hofgebäude, um die Ernte, die Tiere und das eigene Leben zeichnete sich in den blassen Gesichtern ab. Angst auch um die Mutter, Gräfin Heilwig, die sich am Mittag aufgemacht hatte, einer Gebärenden in Weingarten beizustehen, und von der noch keine Nachricht gekommen war.
    Die Angst wandelte sich in Entsetzen, als für einen Augenblick blendende Helligkeit den Saal erfüllte. Erst beim Zucken des nächsten Blitzes erkannte Graf Welf, dass beide Flügel der hohen Eingangspforte aufgesprengt worden waren. Knapp vor der Abendtafel sprangen drei durchnässte Menschen von ihren Pferden. Ein Windstoß ließ die meisten Lichte erlöschen. Die hastig herbeieilenden Bediensteten schlugen im Schein der beiden wild flackernden Wandfackeln die doppelflüglige Tür wieder zu, schoben den Riegel davor und hielten dann wie alle anderen im Raum den Atem an.
    Graf Welf trat auf die Fremden zu.
    »Was ist Euer Begehr?«, fragte er scharf und musterte die Eindringlinge, von denen einer eine Frau war.
    »Wir kommen von des Kaisers Hof«, verkündete ein Mann. Er ließ seinen schweren nassen Reisemantel zu Boden gleiten und zog aus seinem Wams eine in Ölhaut verpackte Rolle, die er mit einer angedeuteten Verbeugung dem Grafen überreichte. »Es ist eine eilige Angelegenheit«, setzte der Mann hinzu, da Graf Welf keine Anstalten machte, die Schrift ihrer Schutzhülle zu entnehmen.
    »Königsboten seid ihr nicht«, stellte er fest. Misstrauen schwang in seiner Stimme mit. Was wollte der ferne Kaiser von ihm?
    »Viele Boten sind in dieser Angelegenheit in
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