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Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)

Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)

Titel: Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)
Autoren: Stella Brightley
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zog ärgerlich ein paar Noten aus einem Stapel.
    »Wie wäre es mit Liedern aus Arie Antiche?«
    Emma sah ihn an. Arie Antiche? Wollte er sie testen? Wollte er hören, wie sie sich seit damals entwickelt hatte? Die schlichten, gefühlvollen Arien waren nicht schwer, aber die Interpretation umso mehr. Bei diesen Liedern musste man seine Seele bloßlegen. Reine Technik war hier nicht gefragt. Aber warum hatte Alex diese Lieder gewählt? Ausgerechnet diese Lieder, mit denen sie beide so verbunden waren?
    Ja natürlich! Plötzlich war ihr alles klar. Er wusste, dass sie nicht perfekt sein würde. Er wollte sie bloßstellen. Diese Lieder gut zu singen war schwer und er wollte sie scheitern sehen, das war es. Na gut, das konnte er haben. Sie nickte. »Arie Antiche.«
    »Gut. Kannst du die Lieder noch?«
    Emma nickte wieder.
    »Gut, dann los!«
    Alex spielte die ersten Töne. Emma schloss die Augen. Sie würde jetzt singen und ihm zeigen, dass es vorbei war mit dem wundervollen Sopran!
    Sie folgte der Musik und spürte plötzlich die Klänge in ihrem Körper. Alex spielte auf eine sehr verführerische Weise. Sie konnte nicht anders und gab sich der Melodie hin und ihr Einsatz kam mühelos. Sie sang ungefähr die Hälfte des Liedes als Alex plötzlich abbrach.
    »Was ist?«
    Seine Stimme klang rau: »Nichts. Ich brauche ein Glas Wasser.« Er verließ fast fluchtartig den Raum.
    Emma sah ihm irritiert nach. Was war denn los? Wieso hatte er abgebrochen? Aber ja, natürlich! Ihr Gesang genügte natürlich überhaupt nicht seinen Ansprüchen. Er war Besseres gewohnt! Er musizierte mit den Berühmtheiten der internationalen Opernwelt. Und wer war sie? Eine verkrachte Sängerin, mit der er sich eine Zeitlang vergnügt hatte. Und was hatte sie ihm auch schon zu bieten? Nichts! Gar nichts, außer Kummer und Leid! Emma schluchzte. Die Verletzung saß tief.
    Doch dann hielt sie plötzlich inne: Halt! Wollte sie ihm überhaupt etwas bieten? Nein, sie hatte ja genau das gewollt. Dass er nicht mehr mit ihr spielen wollte. Ziel erreicht! Gut! Außerdem hatte er erneut bestätigt, wie er war. Kalt, abweisend und unhöflich. Noch nicht mal in der Lage, eine Stunde mit ihr durchzuhalten. Aber sie hatte ja gewusst, dass er so war. Das hier war nur eine Bestätigung. Erregt zog Emma ihre Jacke an und nahm ihre Tasche.
    Alex kam zurück, ein Glas Wasser in der Hand.
    »Was ist denn?« Er sah sie verblüfft an.
    »Ich gehe. Ich möchte dich nicht länger mit meinem Dilettantismus quälen.«
    »Was?«
    »Komm schon! Spiel nicht den edlen Ritter! Den glaube ich dir sowieso nicht. Es muss für dich eine Qual sein, mich zu hören. Aber keine Angst, ich erlöse dich.«
    Sie ging zur Tür.
    »Emma…«
    »Und keine Angst. Wir müssen uns auch kein zweites Mal treffen, wenn es für dich eine solche Überwindung bedeutet!«
    »Überwindung?«
    »Ich geh jetzt besser. Mach´s gut!« Die Tür schlug und Emma war weg.

    Alex starrte ihr verblüfft nach. Überwindung? Ihm war schwindelig und er setzte sich an den Flügel. Emma hatte so gut gesungen wie nie. Ihre Stimme war reifer geworden und voller. Sie war von einem zarten und weichen Schmelz und verband sich in vollkommener Harmonie mit den Klängen des Klaviers. Die Liebeslieder verlangten die völlige Hingabe einer Sängerin und die hatte er, das musste er zugeben, von ihr nicht erwartet. Aber sie hatte sich hingegeben. Sie hatte sich vollkommen in der Musik aufgelöst. Sie sang mit einer Intensität, die er so an ihr noch nie erlebt hatte. Ihre Stimme stahl sich in sein Herz und alle Gefühle, die er die Jahre tief in sich begraben hatte, drängten plötzlich mit Macht nach oben. Sie hatte ihn mit ihrem Gesang berührt und erschüttert.
    Deshalb hatte er den Raum verlassen. Verlassen müssen! Sonst hätte er die Beherrschung verloren, wäre über sie hergefallen, hätte sie noch auf dem Klavier genommen und sich von all der Trauer befreit.
    Doch jetzt war sie weg. Hatte ihm ein paar Unverschämtheiten an den Kopf geworfen und war gegangen. Einfach so. Hatte ihn sitzen lassen. Schon wieder!
    Diesmal zersprang das Glas nicht in seiner Hand. Diesmal warf er es an die Wand. Dann nahm er eine Whiskyflasche und schenkte sich zwei große Gläser ein. Das erste Glas trank er sofort. Das zweite Glas stellte er auf den Flügel. Dann griff er in die Tasten des Klaviers. Und eine Musik erklang, die erneut das Haus zum Beben brachte.

6

    Nach dem Streit mit Alex lief Emma wie betäubt und ziellos durch die Stadt.
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