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Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)

Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)

Titel: Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)
Autoren: Stella Brightley
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Florenz, in einem Haus, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, war ihre Zuflucht gewesen die letzten fünf Jahre.
    Sie sah hoch. Es war plötzlich sehr still im Raum. Das Orgelspiel war verstummt. Sie blickte nach vorn. Der Pfarrer sah sie an. Alle starrten sie an. Richtig! Sie musste ja etwas sagen! Ein paar Worte wenigstens, als einzige Angehörige, als einzige Tochter, so war die Regel. Sie sah zur Orgel. Auch Alex sah sie an. Mit seinen wundervollen graublauen Augen nahm er sie eisig ins Visier.
    Nervös stand sie auf und ging nach vorn. Ihre Hände zitterten, als sie das Papier entfaltete. Sie hatte sich aufgeschrieben, was sie sagen wollte, denn sie traute sich nicht viel zu in dieser Situation:
    »Es ist ein großer Verlust … Meine Mutter war eine großartige Frau … Eine wundervolle Musikerin …«
    Emma stockte, die Worte verschwammen vor ihren Augen. Ihre Stimme brach, sie konnte nicht mehr weiter sprechen. Ein Schluchzen stieg in ihr hoch, ein gewaltiger Schrei. Aber nicht hier! Nicht weinen! Bloß nicht weinen! Nicht vor all den Leuten! Nicht vor Alex! Das Papier entglitt ihren Händen und so schnell sie konnte eilte sie nach draußen.
    Auf dem Friedhof irrte sie durch die Reihen der Gräber. Ihr zarter Körper wurde von wildem Schluchzen geschüttelt. Vor dem offenen Grab ihrer Mutter kam sie zum Stehen. Sie starrte in das Loch, in das man gleich ihre Mutter versenken würde.
    »Es tut mir so leid, Mama! Du fehlst mir so! Mama!« Die immer gleichen Worte strömten aus ihrem Mund, wie ein Mantra.
    Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. »Kann ich etwas für Sie tun?«
    Die Worte einer alten Frau brachten sie zur Besinnung.
    »Wen haben Sie denn verloren?«
    »Meine Mutter.« Tapfer lächelte Emma in das besorgte Gesicht.
    »Wir müssen alle einmal gehen, mein liebes Kind.« Die Frau reichte ihr ein Taschentuch. Emma wischte sich das Gesicht und sah aus der Aussegnungshalle den Beerdigungszug kommen.
    »Danke, es geht schon wieder!« Entschlossen schnäuzte sie sich und setzte sich ihre Sonnenbrille auf. Niemand sollte merken, wie nah ihr das alles ging.
    Der Trauerzug war lang. Mehrere hundert Menschen waren zu dieser Beerdigung gekommen. Die berühmte Sängerin Margaret Cavendish war tot und viele Freunde und Verehrer ihrer Kunst waren angereist, um sie auf ihrem letzten Gang zu begleiten. Emma graute es vor der Menge. Alles Menschen, die sie, die undankbare Tochter verurteilten und sich bereits ein negatives Bild über sie gebildet hatten. Sie drehte sich zum Grab und wartete, bis sich der Pfarrer neben sie stellte. Ihre Knie zitterten und sie betete darum, diese Stunde durchzuhalten. Nach der Predigt und der Versenkung des Sarges nahm sie die Kondolenzen entgegen, ohne die Menschen, die ihr die Hand reichten, wahrzunehmen.
    »Ihre Mutter war eine wundervolle Frau.«
    »Wir werden sie sehr vermissen.«
    »Nie wieder wird es einen solchen Sopran geben.«
    Emma schüttelte hunderte von Händen.
    »Mein herzliches Beileid!« Die Hand, die plötzlich die ihre nahm, war warm und fest.
    »Geht es dir gut?« Alex stand vor ihr und seine Augen blickten nicht mehr kalt und abweisend, sondern wirkten ehrlich besorgt.
    Emma sah ihn an und ihr Blick wanderte über sein Gesicht. Dieses wundervolle Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen und dem sinnlichen, sensiblen Mund, der gleichzeitig so weich und hart sein konnte.
    Ihr Herz flatterte und sie spürte, wie ihre Knie nachgaben. Sie schwankte und hätte Alex sie nicht mit einem schnellen Griff gehalten, wäre sie unweigerlich in das Grab gestürzt. Fest legte er seinen Arm um ihre Hüfte und blieb neben ihr, bis die letzten Trauergäste verschwunden waren.
    Die Stille, die entstand, war für beide unangenehm. Alex zog seinen Arm zurück und Emma nestelte in ihrer Tasche. Sie nahm eine Packung Zigaretten heraus.
    »Du rauchst?« Seine Frage durchbrach die Stille.
    »Manchmal.« Emma vermied es, ihn anzusehen und versuchte, sich mit einem Streichholz eine Zigarette anzuzünden. Doch ihre Hände zitterten und das Streichholz erlosch. Sie ließ die Zigarette sinken.
    »Rauchen schadet deiner Stimme!« In seiner Stimme lag ein leichter Vorwurf.
    »Ich singe nicht mehr!« Trotzig schob sie die Sonnenbrille in ihr Haar und steckte die Zigarette zurück in die Schachtel.
    »Du singst nicht mehr?« Verwirrt starrte er sie an. »Seit wann?« Er biss sich auf die Lippen, die letzte Frage hätte er gern zurückgeholt. Aber es war zu spät. Die Worte waren raus
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