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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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ganz kurz anhalten, ihn einsteigen lassen und sofort in vollem Tempo losbrettern.« Mit der geübten Geste eines Trickkünstlers schnappte er sich den Geldschein und ließ ihn in der Tasche seines Hemdes verschwinden. »Wo ist die Bar?« fragte er.
    Ich erklärte es ihm und bat ihn, noch fünf Minuten zu warten, bevor er losfuhr: Ich wollte nämlich zurückgehen, um das Schauspiel zu genießen – und in der Tat wurden meine Erwartungen nicht enttäuscht.
    Baldan verblüffte alle durch seinen Hundert-Meter-Sprint und den olympiareifen Sprung, mit dem er in das Taxi hechtete. Zehn Sekunden zu spät reagierte die Bande, sie begann ihm hinterherzurennen, als der Wagen schon mit quietschenden Reifen in vollem Tempo um eine Ecke verschwand. Als die fünf Männer endlich bei ihren Wagen ankamen, blieben sie wie angewurzelt stehen, als sie die aufgeschlitzten Reifen bemerkten. Alfredo und Ugo verloren die Nerven und begannen, wild brüllend auf die Karosserie einzutreten.
    Aus bloßer Lust daran, ihnen noch eins draufzusetzen, fuhren wir laut hupend an ihnen vorbei, und noch einmal wandte ich mich um und grüßte mit gestrecktem Mittelfinger.

    Am nächsten Morgen standen wir spät auf. Wir mußten erst spät in der Nacht raus, also blieben wir den ganzen Tag in der heißen Wohnung, die Benjaminos Ventilatoren nur mäßig abkühlten.
    Nach dem Mittagessen wollte der alte Rossini, wie ein echter Profi, die einzelnen Phasen des Plans für diese Nacht noch einmal durchgehen. Er zwang mich, alle Bewegungen nachzuvollziehen, die ich würde ausführen müssen. »Damit du dich daran gewöhnst, das ›Schießeisen‹ zu tragen«, sagte er.
    Da passierte es, daß wir zum ersten Mal seit Beginn unserer Ermittlungen einen heftigen Streit hatten. Ich goß mir gerade Calvados ein, als er mir die Flasche aus der Hand nahm.
    »Bis morgen kein Alkohol, Marco«, befahl er in sehr bestimmtem Ton.
    »Ich bin erwachsen genug, um zu wissen, wann ich aufhören muß«, gab ich pikiert zurück.
    »Mag ja sein, aber wir gehen besser kein Risiko ein. Heute nacht kannst du es dir absolut nicht leisten, einen benebelten Kopf zu haben.«
    »Mach dir keine Sorgen, gib mir die Flasche zurück.«
    »Nein, Marco.«
    »Gib mir die Flasche zurück«, brüllte ich. Benjamino sah mir direkt in die Augen und ließ die Flasche zu Boden fallen.
    »Spinnst du?« herrschte ich ihn an. »Du kommst mir vor wie Dean Martin in Rio Bravo. «
    »Und du wärst dann wohl John Wayne, wie?« fragte ich sarkastisch. »Ich habe nicht gesagt, daß ich John Wayne bin, ich habe nur gesagt, du bist wie der versoffene Sheriff, den Dean Martin spielt.«
    »Ich bin kein Trinker.«
    »Du bist es, und es fehlt dir wenig zum echten Säufer, aber das ist deine Sache. Nur, ich fahre dich nicht mit einem Maschinengewehr durch die Gegend, wenn du auch nur einen Tropfen getrunken hast. So arbeite ich nun mal, das weißt du.« Zwei Stunden lang schwieg ich trotzig, dann aber sah ich ein, daß er recht hatte, und ich bat ihn um Entschuldigung. Kurz vor Mitternacht verließen wir das Haus und fuhren mit dem Motorrad an der Bar der Carusos vorbei, nur um uns zu vergewissern, daß sie noch immer da waren. Sie aßen wie üblich ihr Eis und schwiegen sich an. Für sie waren die Dinge in den letzten Tagen gar nicht gut gelaufen. Und diese Nacht würden sie womöglich noch schlechter laufen. Wir erreichten die Via Dini und versteckten das Motorrad im Hinterhof eines Wohnhauses. Dann gingen wir zu Fuß weiter zu dem Häuserkomplex, in dem die beiden Brüder wohnten, und legten uns in einem besonders dunklen Winkel des Gartens auf die Lauer.
    Fast alle Fenster des Wohnhauses waren weit geöffnet, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. Obwohl wir ein bißchen abseits standen, konnten wir das Stimmengewirr der Hausbewohner und das monotone Gekrächze der laufenden Fernseher hören.
    Benjamino montierte die Maschinengewehre und gab mir eins. »Wenn du sie kommen siehst, denk dran, die Sicherung zu lösen«, flüsterte er.
    Ich schwitzte vor Anspannung und wegen des Calvadosentzugs. Ein paar endlose Sekunden lang kämpfte ich fieberhaft mit den Chirurgenhandschuhen, die sich nicht überstreifen lassen wollten. Als ich sie endlich anhatte, steckte mein Freund mir eine brennende Zigarette zwischen die Lippen.
    »Entspann dich, Marco«, sagte er ruhig und bestimmt. »Es wird alles gutgehen.«
    Die große Limousine fuhr langsam durch das Tor und ebenso langsam auf den Parkplatz zu. Als sie dicht an uns
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