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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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auf, den Hysterischen zu spielen.«
    »Es ist Wildleder«, gab er verärgert zurück und beleuchtete mit der Taschenlampe den blutigen Klumpen. »Echtes Wildleder. Blutflecken bekommt man nicht heraus, jetzt kann ich die Schuhe wegschmeißen.«
    »Was für eine Tragödie, Benjamino«, schnaubte ich. »Die sind maßgearbeitet, vom besten Schuster in ganz Mailand. Das sind Einzelstücke und kosten ein Vermögen.« Ich wünschte ihn zum Teufel, packte Alfredo wieder bei den Füßen und schleifte ihn zu der leeren Grube. Dann begann ich sie mit Erde aufzufüllen. Der alte Rossini tat es mir gleich, lamentierte aber weiter über das traurige Schicksal seines kostbaren Schuhwerks.

    Es dämmerte schon, als wir in unser Quartier zurückkehrten.
    »Wie, glaubst du, wird der Rest der Bande reagieren?« fragte ich.
    »Wenn sie den Wagen finden, wissen sie, daß ihre Chefs in ein besseres Leben eingegangen sind, und sie werden sich beeilen, neue zu suchen. An Anwärtern mangelt es bestimmt nicht. Von denen haben wir nichts mehr zu befürchten.«
    »Wie geht’s dir?«
    »Meinst du, wie es mir geht, nachdem ich an deiner Stelle Alfredo Caruso umgelegt habe?«
    »Genau.«
    »Einer oder zwei, das macht keinen Unterschied.«
    »Du bist nicht wütend?«
    »Nein. Im Grunde bin ich froh, daß du es nicht machen wolltest. das ist nichts für dich.«
    »Danke, Benjamino. Du bist ein Freund.« Eine Weile lang rauchten und tranken wir schweigend. Mir ging der Vorfall nicht aus dem Kopf, ich wollte noch weiter darüber reden.
    »Ich war beeindruckt von der Art, wie sie dem Tod begegnet sind«, sagte ich. »Ich war auf Jammern oder Auflehnung gefaßt, sie dagegen haben sich sofort damit abgefunden, als ob es einfach logisch wäre, in solch einer Situation zu krepieren.«
    »Das waren zwei Profis«, erklärte Benjamino. »Schon als wir sie im Hof überrascht haben, war ihnen klar, was passieren würde. Wirklichen Mumm hat jedenfalls Alfredo bewiesen. Er hat seinen Bruder zu einem würdevollen Benehmen gezwungen. Wäre Ugo allein gewesen, er hätte sich gehen lassen.«
    »Würdest du dich auch wie Alfredo benehmen?« fragte ich ihn unvermittelt.
    »In einer solchen Situation bestimmt. Seine Haltung war stolz … wie die von Jean Gabin. Ich allerdings würde lieber wie Harvey Keitel in Wilde Hunde vom Leben Abschied nehmen.«
    »Echt romantisch.«
    »Und du?«
    »Durch einen Schuß in den Rücken, während ich versuche zu fliehen.«

    Am späteren Vormittag gingen wir auf die Post, um das Geld und die persönlichen Gegenstände der Carusos an ihre Familien zu schicken, gemäß ihrem letzten Wunsch. Als Absender gaben wir Rechtsanwalt Sartori an: In der Gangstersprache heißt das, daß er für ihren Tod verantwortlich ist. Dann rief ich Giovanni Galderisi an.
    »Ich habe schon auf Ihren Anruf gewartet«, sagte er. »Heute ist der 26., die Woche ist um.«
    »Sie bekommen Ihre Geschichte. Die Seiten mit dem ersten Teil habe ich vor fünf Minuten in den Briefkasten gesteckt, und der ist morgen bei ihnen. Die wesentlich gehaltvollere Fortsetzung folgt heute nacht. Bleiben Sie in der Redaktion und halten sie einen Fotografen bereit, ich sage Ihnen dann, wohin Sie kommen sollen …«
    »Wozu brauche ich einen Fotografen?«
    »Um Ihren großen journalistischen Scoop festzuhalten. Sobald Sie vor Ort sind, müssen Sie die Teams der lokalen Fernseh- und Rundfunksender anrufen. Es ist wichtig, auch für Sie, daß die Nachricht sofort publik wird …«
    »Können Sie mir nicht wenigstens eine Andeutung machen?«
    »Haben Sie Geduld.«
    »Das Problem ist nicht die Geduld, sondern die Produktionsabläufe der Zeitung. Wenn Sie mich nach 23 Uhr anrufen, kommt der Artikel nicht mehr in die morgige Ausgabe, und dann teilen sich bloß Rundfunk und Fernsehen den Coup.«
    »Geht klar. Ich rufe Sie gegen 22 Uhr an, einverstanden?«

    Sobald es dunkel wurde, stieg ich in den Volvo der Carusos, Benjamino fuhr mir auf dem Motorrad hinterher, und wir starteten in Richtung Abano Terme, wo seit nunmehr fast einem Monat in der Tiefkühltruhe eines Hauses die Leiche von Alberto Magagnin lag.
    Um ihn in die Tiefkühltruhe hineinzubekommen, hatten wir ihn in die Embryostellung zurechtgekrümmt, die Hände über dem Kopf verschränkt. Deshalb war es unmöglich, ihn auf dem Arm zu tragen. Wir lösten das Problem mit Hilfe einer Schubkarre und packten ihn schließlich auf den Rücksitz unseres Wagens.
    Auf dem Rückweg fuhr Benjamino mit dem Motorrad voraus, um vor eventuellen
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