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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde
Autoren: Jodi Picoult
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Wohlergehen interessieren. Sie wollen sie nur benutzen.
    »Faith!«, rufe ich mit erstickter Stimme. »Faith!«
    Dann plötzlich teilt sich die Menschenmenge rechts und links und bildet eine schmale Gasse bis zu unserer Haustür. Faith hat bereits die halbe Strecke zurückgelegt. »Siehst du?«, ruft sie winkend.
     
    Sein Körper wird vom fahlen Mondlicht angestrahlt, und die Sterne funkeln um ihn herum. »Wow«, entfährt es mir, als Ian das Haus betritt. »Du hast sogar den Vordereingang benutzt.«
    »Ich bin sogar die Vordertreppe heraufgestiegen. Und ich habe sogar ein Dutzend Leute beiseite geschoben.« Er legt die Arme um meine Taille, sodass wir uns an Schenkeln und Stirn berühren. »Du musst glücklich sein.«
    »Sehr.«
    »Schläft sie?«
    »Ja.«
    Ich hake ihn unter und ziehe ihn zur Treppe. »Ich habe deine Pressekonferenz in den Nachrichten gesehen. Du warst sehr ausweichend.«
    Ian lacht. »Gott. Manchen Leuten kann man es wirklich nie recht machen.«
    Ich nehme seine Hand. »Du… hast angedeutet, dass zwischen uns etwas läuft.«
    »Ist doch auch so, oder? Sonst hättest du mich bestimmt nicht reingelassen.«
    »Ernsthaft, Ian«, sage ich leise. »Was willst du tun?«
    Er beugt sich herüber, und ich rieche die Nacht auf seiner Haut. Er küsst mich auf die Wange. »Mit dir zusammen sein.«
    Ich fühle, wie ich erröte. »Das habe ich nicht gemeint.«
    Ians Lippen fahren über meinen Hals, meine Ohrmuschel. Dann richtet er sich auf und sieht mich an, bis wir beide ganz still dastehen. »Ach nein?«, fragt er lächelnd.
     
    Ihre Mutter glaubt, sie würde schlafen. Sie weiß das, weil sie hören kann, wie das Haus sich zur Ruhe begibt wie eine dicke Lady, die ihre Röcke sortiert, wie es um sie herum ächzt und knarrt und seufzt. Faith setzt sich im Bett auf und schaltet die kleine Lampe auf ihrem Nachttisch an. Sie zieht ihr Schlafanzugoberteil hoch und betrachtet prüfend die vorstehenden Rippen und die schillernden Blutergüsse, dort, wo man ihr Spritzen gesetzt hat. Dann hält sie eine Hand unter die Lampe und tastet nach dem kleinen Häutchen, da, wo das Loch war. Es ist weg, und sie sieht nichts als ihre glatte rosige Handfläche.
    »Gott«, flüstert sie laut. Nichts.
    Sie blickt von der Fensterbank zum Nachtlicht und zur Kommode. »Gott?«
    Faith schlägt die Bettdecke zurück und kniet sich hin. Sie sieht unter dem Bett nach, nimmt dann ihren ganzen Mut zusammen und reißt die Türen des furchtbar dunklen Kleiderschrankes auf. Sie hört nur den Rhythmus ihres eigenen Atems und das Surren der Belüftung im Bad weiter unten auf dem Flur. Die ruhigen Klänge von Mariah und Ian, die sich unten unterhalten. Sie versucht es noch mal. »Gott?«
    Aber mit derselben Gewissheit, dass die Sonne in einigen Stunden aufgehen wird, weiß Faith, dass sie allein ist in den vier Wänden ihres Zimmers.
    Plötzlich ist ihr sehr kalt, und sie hat ein wenig Angst. Sie springt ins Bett, so schwungvoll, dass die Sprungfedern den Boden berühren und ihre Mutter heraufkommt, um nach ihr zu sehen. Sie hört ihre Schritte auf der Treppe, das Knarren der siebten Stufe. Das gedämpfte Geräusch ihrer Schuhe auf dem Teppich. Sie schätzt ab, wie lange ihre Mutter braucht, um ihr Zimmer zu erreichen.
    »Sie haben einen Haufen Fragen gestellt«, sagt Faith gerade so laut, dass man sie durch die Tür hören kann, den Blick auf den schmalen Lichtstreif gerichtet, der durch den Türspalt fällt. »Aber sie haben Dich ja auch nie gesehen.« Sie hält die Luft an. Aus den Augenwinkeln sieht sie das müde Lächeln ihrer Mutter.
    Mit klopfendem Herzen und die Hände in die Bettdecke gekrallt, fährt Faith fort, sich mit sich selbst zu unterhalten, bis sie unten wieder die Stimme ihrer Mutter hört, bis sie sicher ist, dass ihr niemand mehr zuhört.
     
    [erstellt mit plustek OpticBook 4600 und Atlantis Word Processor]
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