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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde
Autoren: Jodi Picoult
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sich noch an die schreckliche Nacht, in der Sie versucht haben, sich das Leben zu nehmen, Mrs. White?«
    »Nur sehr verschwommen. In Greenhaven hat man mir gesagt, ich hätte sie wohl verdrängt.«
    »Haben Sie zurzeit Depressionen?«
    »Nein.«
    »Aber Sie wären vermutlich schwer depressiv, wenn Sie keine Medikamente einnehmen würden.«
    »Das weiß ich nicht«, sagt Mariah ausweichend.
    »Wissen Sie, ich habe von Fällen gelesen, in denen Patienten, die Prozac eingenommen haben, völlig ausgerastet sind. Sie sind durchgedreht und haben versucht, sich umzubringen. Haben Sie keine Angst, dass so etwas auch Ihnen passieren könnte?«
    »Nein«, antwortet Mariah und blickt ein wenig nervös auf Joan.
    »Können Sie sich erinnern, unter Prozac-Einwirkung schon einmal durchgedreht zu sein?«
    »Nein.«
    »Und haben Sie während der Einnahme von Prozac schon einmal jemanden verletzt?«
    »Nein.«
    »Hatten Sie dann vielleicht heftige Reaktionen?«
    »Nein.«
    Metz wölbte die Brauen. »Nein? Dann betrachten Sie sich also als einen emotional stabilen Menschen?« Mariah nickt entschieden. »Ja.«
    Metz geht zum Tisch der Anklage und nimmt eine kleine Videokassette auf. »Ich würde gerne dieses Band als Beweisstück einbringen.«
    Joan springt auf und tritt an den Richtertisch. »Das dürfen Sie nicht zulassen, Euer Ehren. Er reicht Beweise über meinen Kopf hinweg ein. Ich habe ein Recht darauf, vorab über Beweismittel informiert zu werden.«
    »Euer Ehren«, kontert Metz, »Ms. Standish war es, die bei ihren Befragungen immer wieder darauf hingewiesen hat, wie ausgeglichen Mrs. White unter Einnahme von Prozac ist.«
    Richter Rothbottam nimmt Metz das Band aus der Hand. »Ich werde mir das Band in meinem Richterzimmer ansehen und mich hinterher entscheiden. Ich ordne eine kurze Pause an.«
    Die Anwälte kehren zurück an ihren Platz. Nicht sicher, was jetzt geschieht, bleibt Mariah wie erstarrt im Zeugenstand sitzen, bis Joan ihre missliche Lage erkennt, und zu ihr hinübergeht und sie erlöst.
     
    »Was ist auf diesem Band, Mariah?«, fragt Joan, sobald sie wieder beide am Tisch der Verteidigung sitzen.
    »Ich habe wirklich keine Ahnung. Ehrlich.« Obwohl es im Saal eher kalt ist, fühle ich, wie Schweiß mir zwischen den Brüsten und den Rücken hinunterrinnt.
    Der Richter kehrt durch eine Seitentür zurück, nimmt Platz und fordert mich auf, in den Zeugenstand zurückzukehren. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie ein Gerichtsdiener einen Fernseher mit angeschlossenem Videorekorder hereinrollt. »Scheiße«, flucht Joan leise.
    »Ich werde das Band als Beweismittel zulassen«, erklärt Rothbottam. Metz fährt mit seiner Befragung fort. »Mrs. White, ich werde Ihnen jetzt dieses Band vorspielen.«
    Als er die Play-Taste drückt, beiße ich mir auf die Lippen. Auf dem kleinen Bildschirm ist zu sehen, wie ich auf die Kamera zustürze, sodass meine Gesichtszüge verzerrt wirken und verschwimmen. Ich schreie so laut, dass die Worte nicht zu verstehen sind, und dann sieht man, wie ich die Hand hebe, eindeutig in der Absicht, den Filmenden zu schlagen.
    Die Kamera schwenkt wild herum und erfasst flüchtig Faith in einer Ecke des Raumes, meine Mutter in einem Krankenhausnachthemd und Ian und seinen Producer.
    Die Aufnahme von dem Belastungs-EKG; die Aufnahmen, die Ian versprochen hatte, nicht zu verwenden.
    Er hat mich wieder belogen. Ich sehe in Richtung Zuschauerraum und lasse den Blick über die Gesichter schweifen, bis ich ihn entdecke - er sitzt da wie erstarrt und »Können Sie uns mehr über die näheren Umstände dieser Aufnahmen erzählen?«
    »Meine Mutter hat sich nach ihrer >Wiederauferstehung< einem Belastungs-EKG unterzogen. Mr. Fletcher war gestattet worden, dabei zu filmen.«
    »Und was ist dann passiert?«
    »Er hatte versprochen, keinesfalls meine Tochter zu filmen. Und als die Kamera dann doch auf sie schwenkte, habe ich … es war ein Reflex.«
    »Ein … Reflex. Hmmm. Reagieren Sie häufiger >reflexartig    »Ich wollte nur Faith beschützen und …«
    »Ein schlichtes Ja oder Nein wird genügen, Mrs. White.«
    »Nein.« Ich schlucke hart. »In der Regel denke ich gründlich nach, bevor ich handle.«
    Metz durchquert den Saal. »Würden Sie sagen, dass dieses Band Sie als emotional stabile Person zeigt?«
    Ich zögere und wähle meine Worte mit Bedacht. »Es war nicht der glanzvollste Augenblick in meinem Leben, Mr. Metz, aber alles in allem bin ich sehr wohl emotional stabil, ja.«
    »Alles in allem?
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