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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau
Autoren: Sara Paretsky
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Land gekommene russische Juden und Hindus direkt nebeneinander untergebracht sind, und daran schließt sich ein Areal an, in dem Chicagos Ärmste und Verzweifeltste vor sich hin vegetieren. Direkt im See ist Uptown am rauhesten. Am Broadway kamen wir an einem Mann vorbei, der an einen Abfall-Container pinkelte, hinter dem gerade ein Pärchen Sex hatte. Mary Louise sah auf den Rücksitz, um sich zu vergewissern, dass Emily immer noch schlief. »Fahr zur Balmoral Avenue und dann auf die andere Seite rüber, da ist es ruhiger.«
    An einer Kreuzung stand ein Mann, der mit einem schmuddeligen Schild um Essen bettelte. Er wankte mit unsicheren Schritten zwischen den vorbeifahrenden Autos hindurch. Ich ging fast auf Schrittgeschwindigkeit herunter, bis wir an ihm vorbei waren.
    Abseits des Broadway waren die meisten Straßenlaternen kaputt, die Lampen zerschmettert und nie durch neue ersetzt worden. Den Körper mitten auf der Straße sah ich erst, als ich fast schon darüberfuhr. Ich bremste abrupt und riss das Steuer nach links. Mary Louise schrie auf und packte mich am Arm. Der Trans Am schlingerte über die Straße und landete an einem Hydranten.
    »Vic, tut mir leid. Ist dir was passiert? Ich hab' gedacht, du überfährst ihn. Und Emily, mein Gott... « Sie löste den Sicherheitsgurt mit zitternden Fingern.
    »Ich hab ihn gesehen«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Ich hab' gebremst. Mich am Arm zu packen, nützt da auch nicht viel.«
    »Mary Lou, was ist denn los?« fragte Emily, die inzwischen aufgewacht war, mit erschreckter Stimme.
    Man Louise war bereits hinten bei ihr, während ich noch an meinem Sicherheitsgurt herumfummelte. Emily war nichts passiert; sie hatte nur Angst. Sie versicherte Mary Louise immer wieder, dass ihr nichts fehlte, und stieg schließlich aus, um es ihr zu beweisen. Mary Louise sah sich ihren Nacken und ihre Schultern genau an, während ich eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach holte.
    Nachdem Mary Louise sich vergewissert hatte, dass Emily wirklich unverletzt war. hastete sie zu der Gestalt auf der Straße. Ihre berufliche Routine war stärker als die vier Bier, die sie im Verlauf des Abends getrunken hatte. Dass sie beim Gehen ein wenig unsicher wirkte, war eher auf den Schock zurückzuführen.
    »Vic, es ist eine Frau. Sie atmet kaum noch.« Im Licht meiner Taschenlampe sahen wir, dass die Frau noch sehr jung war. Sie hatte dunkle Haut und dichte schwarze Haare, die ihr wirr ins Gesicht hingen. Ihr Atem kam blubbernd und keuchend, als sei ihre Lunge mit Flüssigkeit gefüllt. So etwas hatte ich schon einmal gehört, als mein Vater damals an einem Lungenemphysem gestorben war, aber diese Frau hier sah viel zu jung aus für eine solche Krankheit. Ich richtete den Strahl der Taschenlampe auf ihre Brust und wich entsetzt zurück. Die Vorderseite ihres Kleides war voller Blut. Es war durch den dünnen Stoff gedrungen, so dass er wie ein großer Verband an ihrem Körper klebte. Schmutz und Blut zogen sich in breiten Streifen über ihre Arme; ihr linker Oberarmknochen ragte aus ihrem Fleisch wie eine Stricknadel aus einem Knäuel Wolle. Vielleicht war sie, benommen von Heroin oder Wild Rose, vor ein Auto gelaufen.
    »Vic, was ist los?« Emily stand jetzt zitternd neben uns.
    »Schätzchen, sie ist verletzt, und wir müssen Hilfe holen. Im Kofferraum sind ein paar Handtücher. Könntest du die bitte herbringen, wahrend ich die Sanitäter rufe?«
    Das beste Mittel gegen Angst ist Aktivität. Emily ging mit knirschenden Schritten über zerbrochenes Glas zum Wagen, während ich mein Handy herausholte und die Notrufnummer wählte.
    »Nimm du die Handtücher; ich kümmere mich um die Sanitäter.« Mary Louise wusste aufgrund ihrer Zeit bei der Polizei genau, welche Informationen die Leute vom Notdienst brauchten, um so schnell wie möglich zum Unfallort zu kommen. »Wir haben hier eine Verletzte. Sieht aus wie Fahrerflucht. Wir sind Ecke Balmoral Avenue und...«
    Ich breitete die Handtücher über die Frau und rannte zur Straßenecke, um festzustellen, wo genau wir uns befanden. An der Glenwood Avenue, gleich östlich von der Ashland Avenue. Ein Wagen bog gerade in die Straße; ich winkte ihn weiter. Der Fahrer brüllte mir zu, dass er hier wohne, doch ich besann mich auf meinen Vater, der Verkehrspolizist gewesen war, und blaffte ihn an, die Straße sei gesperrt. Der Fahrer fluchte, versuchte aber nicht weiter, an mir vorbeizukommen. Ein paar Minuten später traf mit quietschenden Keifen ein
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