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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau
Autoren: Sara Paretsky
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Leistung.«
    »Allerdings.« Die Ampel am Lake Shore Drive schaltete auf Grün, und ich lenkte den Wagen auf die Spur, die in nördliche Richtung führte.
    »Aber etliches von dem, was ich dir gerade gesagt habe, hattest du auch in Murrays Interview hören können. Hast du dir das denn nicht angeschaut?«
    Ich zog eine Grimasse. »Ich glaube, die Tatsache, dass er das Interview gemacht hat, war mir so peinlich, dass ich mich nicht richtig auf das konzentriert habe, was er gesagt hat.«
    »Nun geh nicht so hart mit ihm ins Gericht«, meinte Mary Louise. »Schließlich muss er auch von was leben, und du hast selber gesagt, dass die Leute von Global immer wieder seine wichtigsten Storys gestrichen haben.«
    Sie hatte recht. Ich wusste, dass Murray seil der Übernahme seiner Zeitung durch Global ziemliche Schwierigkeiten gehabt hatte. Zwar hatte er weiter recherchieren dürfen, aber alle Storys, die die Leute von Global als politisch zu heikel erachteten, waren einfach nicht gedruckt worden. »Wir müssen auf die Leute hören, die uns in diesem Staat einen Gefallen tun«, hatte Murray verbittert eine Aussage seiner Vorgesetzten zitiert, als diese kurzerhand einen Artikel über das neue Frauengefängnis in Coolis kippten, an dem er monatelang gearbeitet hatte. Dann hatte er noch ein weiteres Zitat seines Herausgebers hinzugefügt: Die Amerikaner sind solide Geschichten gewöhnt. Sex, Sport und Gewalt - das sind solche soliden Sachen. Die Manipulation von Rentenfonds und die Bestechung von Beamten gehören nicht dazu. Kapiert, Murray?
    Ich hatte völlig vergessen, wie gut Murray die Kunst beherrschte, alle Widernisse zu überstehen. Kaum jemand dürfte überraschter gewesen sein als ich, eine der begehrten Einladungskarten zur Global-Party im Golden Glow zu bekommen - besonders weil darauf stand, dass wir dort Murrays Debüt als Chicagos >Hinter den Kulissen< -Reporter feiern wurden. Ich dachte lieber nicht darüber nach, was Murray angestellt hatte, um sich den Job zu angeln. Von sich aus würde er es mir jedenfalls nicht erzählen. Als ich bei ihm anrief, um ihn danach zu fragen, meldete sich eine Assistentin, die mir höflich versicherte, sie würde alle Nachrichten an ihn weiterleiten. Er selbst war nicht zu sprechen.
    Ich wusste, dass Murray diskret die Fühler nach Reportageaufträgen auf nationaler Ebene ausgestreckt hatte. Aber er war ein paar Jahre aller als ich, und wenn man erst mal über vierzig ist, beginnen die Unternehmen einen als Belastung zu empfinden. Man ist zu teuer und kommt allmählich in ein Alter, in dem man anfängt, seine Krankenversicherung tatsächlich zu nutzen. Außerdem hatte er die gleichen Probleme, außerhalb der Stadt zu arbeiten wie ich, weil sein Insiderwissen sich ausschließlich auf Chicago bezog. Also hatte er der Realität ins Auge geblickt. War das etwa ein Verbrechen?
    Um zwei Uhr morgens mitten in der Woche war nicht viel los auf dem Drive. Rechts von mir verschmolzen Himmel und See zu einem langen schwarzen Strich. Wir waren ganz allein am Rand der Welt, der lediglich vom silbrigen Licht der Straßenlaterne erhellt wurde. Ich war froh über Mary Louises Gesellschaft; sogar ihre Monologe darüber, wieviel der Babysitter fürs Aufpassen auf Emilys kleine Brüder verlangte, oder darüber, wieviel sie vor dem Sommersemester noch erledigen musste - neben ihrer Teilzeittätigkeit für mich studierte sie Jura -, wirkten beruhigend. Ihr Jammern hielt mich davon ab, darüber nachzudenken, wie unsicher mein eigenes Leben war, was meine Ressentiments gegen Murray förderte, weil er sich dem Fernsehen verkaufte.
    Ich beschleunigte auf einhundertzehn Stundenkilometer, als könnte ich so meiner Gereiztheit entkommen. Mary Louise, die nicht umsonst früher bei der Polizei gewesen war, protestierte lautstark, als wir über eine Hügelkuppe an der Montrose Avenue segelten. Ich verlangsamte artig vor unserer Ausfahrt. Der Trans Am hatte mittlerweile zehn Jahre auf dem Buckel, und das sah man ihm auch an, aber Kurven nahm er immer noch wie ein junger Hüpfer. Erst an der Ampel an der Foster Avenue war ein leichtes Röcheln des Motors zu hören.
    Je weiter wir in westlicher Richtung fuhren, desto mehr war los auf den Straßen: Aus den Schatten tauchten Betrunkene auf, und auf dem Asphalt lagen Bierdosen. Die Stadt verändert ihren Charakter hier in der Gegend alle paar Häuserblocks. Mary Louise lebt in einem ruhigen Wohnviertel; gleich daneben befindet sich ein Abschnitt, in dem gerade erst ins
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