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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau
Autoren: Sara Paretsky
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hatte, waren alle Leute, die irgendwie mit den Chicagoer Medien zu tun hatten, ganz heiß darauf gewesen, die Karte mit dem Silberrand in ihrer Post zu finden.
    Regine und die anderen Klatschkolumnisten interessierten Trant an jenem Abend nicht sonderlich: Ich erkannte den Speaker des Repräsentantenhauses vom Bundesstaat Illinois, des Illinois House, und ein paar andere Landespolitiker in der Gruppe, die um ihn herumstand, und hatte das Gefühl, dass er sich am ausführlichsten mit einem Geschäftsmann unterhielt. Regine, die nicht sonderlich erfreut darüber war, links liegengelassen zu werden, musterte intensiv den Saum ihrer schwarzen Satinhose, um mir bewusst zu machen, dass ich ihn heruntergerissen oder sonstwie beschädigt hatte. Während ich mich weiter in Richtung Bar vorarbeitete, hörte ich sie zu ihrer Kollegin von der Sun-Times sagen: »Wer ist denn diese unbeholfene Frau?«
    Ich drückte mich zu der Wand hinter Sals hufeisenförmiger Mahagonitheke. Da ich in Begleitung von Mary Louise Neely und ihrem jungen Schützling Emily Messenger war, wusste ich, dass es ein langer Abend werden würde. In ihrer gegenwärtigen Euphorie würde Emily jede Bitte, vor ein Uhr morgens das Lokal zu verlassen, ignorieren. Es passierte nicht allzuoft, dass sie ihre Freundinnen neidisch machen konnte, und so war sie fest entschlossen, den Abend bis zur Neige auszukosten.
    Emily war wie die meisten Teenager völlig weg von Lacey.
    Als ich Mary Louise und ihr mitgeteilt hatte, dass ich zwei Gäste mitbringen und sie mich begleiten konnten, wenn sie wollten, war Emily vor Aufregung ganz blass geworden. Sie sollte in der folgenden Woche zu einem Sommersprachkurs nach Frankreich aufbrechen, aber das war absolut langweilig im Vergleich zu der Aussicht, sich im selben Raum aufzuhalten wie Lacey Dowell.
    »Die >Mad Virgin< « hatte sie verzückt gehaucht. »Vic, das werde ich dir nie vergessen.«
    Lacey hatte diesen Spitznamen wegen ihrer Hauptrolle in einer Horrorfilm-Serie über eine mittelalterliche Frau erhalten, die offenbar bei der Verteidigung ihrer Keuschheit zu Tode gekommen war. Dann und wann tauchte sie unter den Lebenden auf, um sich an dem Mann zu rächen, der sie vergewaltigt hatte und der ebenfalls von Zeit zu Zeit wieder aufkreuzte, um junge Frauen zu bedrohen. Trotz des neofeministischen Anstrichs der Handlung segnete Lacey immer das Zeitliche, nachdem sie ihren ewigen Feind besiegt hatte, während irgendein hirnloser Held seine geistlose Geliebte in den Arm nahm, die sich zuvor neunzig Minuten lang die Seele aus dem Leib geschrieen hatte. Die Filme hatten so etwas wie Kultstatus bei den Angehörigen der Generation X - ihre übertriebene Ernsthaftigkeit verwandelte sie automatisch in eine überzogene Satire auf sich selbst -, aber die eigentlichen Fans waren Emily und ihre Teenagerfreundinnen, die Laceys Frisur, die kniehohen Schuhe mit den über Kreuz geschlossenen Riemen sowie die schwarzen Oberteile mit hohem Kragen, die sie privat trug, zu ihrem Kleidungsstil erkoren hatten.
    Als ich am anderen Ende der Theke angekommen war, stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um nach Emily und Mary Louise Ausschau zu halten, aber die Menge war einfach zu dicht. Sal hatte sogar sämtliche Barhocker in den Keller getragen, damit mehr Platz für die Leute war. Ich presste mich so eng wie möglich an die Wand, während gestresste Kellner mit Hors d'ouvres und Flaschen vorbeihuschten. Murray hatte sich mittlerweile zusammen mit der Frau in dein Silbergazekleid ans entgegengesetzte Ende der Theke bewegt. Er schien sie gerade mit der Geschichte zu unterhalten, wie Sal ihre hufeisenförmige Theke aus den Resten eines Herrenhauses in der Gold Coast gerettet hatte. Damals, in den Anfängen ihrer Zeit als Lokalbesitzerin, hatte sie mich und ihre Brüder dazu gebracht, über den Schutt zu klettern und das Ding herauszuhieven. Als ich sah, dass die Frau den Kopf mit einem künstlichen Lachen in den Nacken warf, war ich mir ziemlich sicher, dass Murray ihr erzählt hatte, er sei ebenfalls mit von der Partie gewesen. Irgendwie erinnerte mich das Gesicht oder auch der Schmollmund, den die Frau beim Zuhören machte, an jemanden, aber ich wusste nicht, an wen.
    Sal blieb noch einmal mit einem Tablett voll Räucherlachs bei mir stehen. »Ich muss hierbleiben, bis der letzte draußen ist, aber du brauchst dich nicht rumzuquälen - los, verdrück dich nach Hause, Warshawski.« Ich nahm etwas Räucherlachs und erklärte ihr ein wenig mürrisch,
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