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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen
Autoren: Ursula Poznanski
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zusammenstoßen. Die Tür wird von zwei Sentinel bewacht, die jeden registrieren, der nach draußen geht.
    Sie lassen uns durch, grüßend und lächelnd. Aureljo ist überall beliebt und sein verändertes Gesicht lässt die Menschen noch freundlicher auf ihn reagieren.
    Wir treten hinaus und augenblicklich schneidet mir die eisige Luft in die Haut. Mein Atem formt Wolken, auf meiner Stirn landen kalte, feuchte Flocken. Am liebsten würde ich sofort zurückkehren, in die gereinigte, gewärmte Luft der Sphäre, aber Aureljo schlingt seine Arme um mich und drückt mich an sich, so fest, dass ich seinen Herzschlag spüren kann.
    »Halte es aus«, sagt er leise in mein Ohr. »Nur fünf Minuten. Oder vier.«
    Ich presse mich an ihn und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsgrube. Von außen müssen wir wirken wie zwei Menschen, die nicht voneinander lassen können und einen einsamen Moment unter freiem Himmel suchen, um das Universum in seiner ganzen Unendlichkeit zu spüren.
    Zum Teil stimmt das sicher. Doch vor allem will Aureljo, dass ich mir der Kälte bewusst werde, dass ich fühle, wie sich die Luft ihren Weg rau in meine Lungen bahnt, wie eisig der geschmolzene Schnee in Rinnsalen meinen Nacken hinunterläuft.
    Ich verstehe, was er mir sagen will: für mich fünf Minuten, für andere ein ganzes Leben.
    Ich soll mir kein Urteil anmaßen.
    Aber Lu ist tot, will ich protestieren, und Raman und Curvelli. Ich löse mich von Aureljo und trete einen Schritt zurück.
    »Ich weiß«, sagt er. »Ich finde es auch schrecklich. Aber wir dürfen dem Hass nicht freie Bahn lassen, sonst bestimmt er unser Denken.«
    Zum ersten Mal, seit ich die furchtbare Nachricht gehört habe, möchte ich lächeln. Aureljo hat sich selbst übertroffen, er hat in meinem Gesicht gelesen, als wäre es ein Buch.
    Grauko wäre stolz auf ihn.

4
    3 Einheiten Eiweiß, 5 Einheiten Kohlehydrate , 1 Einheit Fett , zeigt der Salvator an, als ich ihn zum Schlafen abnehmen will. Ich lockere die breite Manschette und wische über das handtellergroße Display. Die Buchstaben blinken rot – wenn ich nicht auf Ausgleichen gehe, wird die Information ins Medcenter geschickt. Das fehlt mir gerade noch.
    Der Gedanke, jetzt noch etwas zu essen, verursacht einen Aufruhr in meinem Magen und ich beschließe, auf den Ausgleich zu pfeifen. Niemand profitiert davon, wenn ich kostbare Lebensmittel auskotze.
    Das Gerät pfeift schrill und protestierend, als ich es per Knopfdruck in den Ruhemodus schalte, ohne zuvor zu tun, was es von mir verlangt.
    Dann ist es still um mich herum. Ich drehe das Licht im Zimmer auf die unterste Stufe, stelle mich ans Fenster und sehe den Sentineln dabei zu, wie sie auf der Mauer ihre Rundgänge machen. Die dicken Mäntel lassen sie wie Tiere wirken, die ich nur aus Büchern kenne.
     
    Drei Röhrchen Blut kostet mich mein Ungehorsam, von der Zeit, die ich im Medcenter verschwende, ganz abgesehen. Ich bin mitten aus einer Geologie-Lektion geholt worden und werde meine Gesteinsschichtenanalyse später nachholen müssen. Entsprechend großartig ist meine Laune.
    Der Arzt, dessen Namen ich nicht kenne, hält mir drei Päckchen Eiweißkekse unter die Nase, doch bevor er seine Ansprache über die Ernährungsrichtlinien beginnen kann, springe ich vom Stuhl auf.
    »Ich habe gestern eine Freundin verloren und erwarte Verständnis dafür, dass mir das den Appetit verdirbt.« Mein Ton ist scharf und ich habe nicht die geringste Absicht, ihn zu mäßigen. Der übereifrige Doktor soll ruhig merken, dass ich sauer bin, egal ob er dreimal so alt ist wie ich. Prompt beginnt er, sich zu verteidigen.
    »Wir werden dafür verantwortlich gemacht, wenn einer von euch zusammenklappt«, erklärt er. »Und wenn es einer der ersten zehn ist, umso schlimmer. Ihr seid das wichtigste Kapital der Borwin-Akademie, auf euch müssen wir ein besonderes Auge haben. Aber du ersparst dir einen weiteren Besuch hier, wenn du dich an das hältst, was dir dein Salvator vorgibt.«
    Ich werfe einen Blick auf die Kekse in meiner Hand. Luftdicht verpackt in blaugrauer Folie. »Niemand von uns leidet an Mangelernährung«, gebe ich zurück. »Wir werden ausgebildet, Verantwortung zu tragen, und wenn ich es für richtig halte, eine Mahlzeit auszulassen, weil ich einen schweren persönlichen Verlust erlitten habe, dann will ich, dass das respektiert wird. Mein medizinisches Wissen reicht aus, um beurteilen zu können, ob mir das schadet oder nicht.« Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Beim
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