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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen
Autoren: Ursula Poznanski
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nächsten Mal soll er sich genau überlegen, ob er mich herzitieren lässt wegen ein paar nicht konsumierter Kalorien.
    Der Arzt rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Es ist nicht mein Ton, der ihn aus der Ruhe bringt, es ist meine Reihung. Mit der 7 werde ich später auf jeden Fall einen hohen Posten im Sphärenbund bekleiden, er will es sich mit mir nicht verscherzen, obwohl es ihm sichtlich nicht leichtfällt, sich von einer Achtzehnjährigen abkanzeln zu lassen.
    Er schluckt, blickt auf seine Hände, dann lenkt er ein. »Tut mir leid. Aber es war nicht als Schikane gedacht. Wir sorgen uns, wenn Unregelmäßigkeiten auftreten.«
    »Beim nächsten Mal sorgen Sie sich bitte erst, wenn mit meinen Werten etwas nicht stimmt. Dann werde ich bereitwillig hier antanzen und mir Blut abzapfen lassen.« Ich überlege, ob ich die Kekse schwungvoll auf den Tisch werfen soll, entscheide mich aber dagegen. Ich bin schon zu weit gegangen, habe den Arzt gedemütigt, obwohl er nichts anderes getan hat, als die Vorschriften zu befolgen. Nur weil ich demonstrieren wollte, dass ich mich nicht bevormunden lasse. Nicht wegen einer solchen Kleinigkeit.
    »Du bekommst deine Ergebnisse in drei Stunden«, murmelt er, ohne mir in die Augen zu sehen. »Du musst nicht herkommen, ich schicke sie auf deinen Salvator, wenn du einverstanden bist.«
    »Gut.« Er hat nachgegeben, so wie ich es wollte, und nun merke ich, dass Scham in mir hochkriecht und sich in meinem Nacken festsetzt. Aureljo würde sich nie so verhalten, nie seine Position als Nummer 1 der Akademie dazu nutzen, einen anderen zurechtzuweisen. Verdammt. Ich atme tief durch und will gerade gehen, als die leise Stimme des Arztes mich innehalten lässt.
    »Luria war oft bei mir. Mich trifft ihr Tod sehr. Sie wollte ein Praktikum im Medcenter beginnen, wusstest du das?«
    »Nein.« Ich sehe ihn an, entschuldige mich stumm.
    »So jung, so gesund«, murmelt er. »So begabt.«
    Ich nicke. Unter den Augen des Doktors zeigen sich erste Ansätze von Tränensäcken und mit einem Mal möchte ich ihm über sein ordentlich gescheiteltes Haar streichen.
    Er könnte mein Vater sein, wenn ich einen hätte.
     
    Der Nachmittag gehört den Gewächshäusern in den äußeren Kuppeln 19 und 20. Die jüngeren Studenten suchen die Pflanzen auf Schädlinge ab, während wir Stichproben für die chemische Analyse vorbereiten.
    Ich stehe zwischen Tudor und Aureljo, die heute ungewöhnlich schweigsam sind. Jedes Mal, wenn auf der Galerie, die sich hoch über unseren Köpfen an die Wände schmiegt, Sentinel in unser Sichtfeld kommen, hebt Tudor den Kopf. Ich weiß, wonach er Ausschau hält, aber der farblose Sentinel ist mir seit gestern Nachmittag nicht wieder begegnet.
    »Warum fragst du nicht Morus?«, erkundige ich mich, als Tudors Blick einmal mehr hochzuckt, wie elektrisiert vom Geräusch der Schritte über uns.
    »Was?«
    »Morus. Deinen Mentor. Er wird wissen, was es bedeutet, wenn ein Sentinel keine Farben trägt, er wird es dir –«
    »Lass das! Hör auf, so zu tun, als wüsstest du, was in meinem Kopf vorgeht!«
    Diese heftige Reaktion habe ich tatsächlich nicht kommen sehen und weiche einen Schritt zurück, was Tudor mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt.
    Sofort ist Aureljo an meiner Seite. »Achte auf deinen Ton, ja? Ria war freundlich, du hast kein Recht, sie anzuschreien.«
    Wieder Schritte über uns. Tudor hat seine Augen immer noch auf mich gerichtet und ich kann beinahe fühlen, wie schwer es ihm fällt, nicht nach oben zu blicken.
    »Warum fragst du ihn nicht einfach?«, wiederhole ich.
    Tudor schüttelt den Kopf. Richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf die Tomatenpflanze, die er gerade untersucht. Etwas an seiner Haltung lässt mich vermuten, dass er nicht fragen will, weil er die Antwort bereits kennt.
     
    Die Sentinel haben bereits mehrfach ihre Runde über den Steg an der Kuppelinnenseite gemacht, als ein Mädchen sich einen Weg durch die Bepflanzungsreihen bahnt und auf mich zusteuert. Sie ist jünger als wir, fünfzehn, höchstens sechzehn, und ich kenne sie vom Sehen, aus einer der Gemeinschaftsküchen in den äußeren Quartieren.
    »Ria!« Sie winkt, schenkt Aureljo ein strahlendes Lächeln und Tudor ein schüchternes, bevor sie mich am Arm nimmt. »Sie brauchen dich auf der Auffangstation. Es sind drei diesmal, zwei davon noch ziemlich klein. Terissa möchte, dass du kommst.«
    Ich wische meine erdigen Hände an einem Leinentuch ab und folge dem Mädchen, dessen geflochtener
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