Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen
Autoren: Ursula Poznanski
Vom Netzwerk:
der Nähe der Chronik. Geschriebenes verwahrt man üblicherweise in Bibliotheken. In der von Quirin, zum Beispiel.
    Aureljo greift nach meiner Hand. Wir haben noch kein Wort miteinander gesprochen, seit ich ihm Flemings Salvator in die Hand gedrückt habe. Nachdem wir aus dem Keller gestiegen waren, hat er sich, ein ganzes Stück vom Haupthaus entfernt, auf einen Haufen Steine gesetzt und ins Leere gestarrt. Er kam erst zurück, als das Feuer schon brannte.
    »Wir sind in diesem Spiel nicht die Verräter, sondern die Verratenen«, sagt er, seine Stimme klingt hart. »Aber ich könnte mir vorstellen, jetzt ein Verräter zu werden. Das alles ist die Schuld des Sphärenbundes, Ria, nicht Flemings.«
    »Ich weiß.« Zwei Worte am Stück kann ich sagen, immerhin.
    Er lässt meine Hand los und legt mir stattdessen den Arm um die Schultern. »Ich gehe zurück in die Sphären. Jetzt erst recht.«
    »Du denkst … sie …?«
    »Dass sie Fleming getötet haben? Natürlich. Wer denn sonst?« Aureljos Tonfall ist kaum wiederzuerkennen; keine Spur mehr von Verständnis, kein Bemühen um eine versöhnliche Erklärung. »Er hat sich umentschieden und versucht, unser Leben zu retten. Begreifst du nicht, wie mutig das von ihm war? Deshalb haben sie ihn aus dem Weg geschafft, aber das hätten sie ohnehin getan, wenn sie mit uns fertig gewesen wären. Mit all dem Wissen war er eine viel zu große Gefahr.«
    Daran habe ich noch nicht gedacht.
    »Wir sind gut ausgebildet«, zischt Aureljo. Auch der harte Zug um seinen Mund ist neu. »Wir sind mit den Sphären vertraut, mit ihren Stärken und ihren Schwachstellen. Das werden sie jetzt zu spüren bekommen. Es wird eine Verschwörung geben, und was für eine.«
    Der aufkommende Wind treibt den Rauch des Feuers in unsere Richtung. Er brennt in den Augen und ich wende mich ab. Dabei fällt mein Blick auf Sandor, der wartet.
     
    Es ist nur ein kleiner Tross, der, unbeachtet vom Clan Schwarzdorn, nach Westen zieht. Außer uns verbliebenen fünf nur Quirin, Sandor und zwei von Quirins Leuten, die Tycho tragen.
    Schnell sind wir nicht – Dantorians Bein lässt kein hohes Tempo zu und Tomma bleibt immer wieder stehen und schaut zurück. Ich weiß, sie hält Ausschau nach Yann, doch der lässt sich nicht blicken.
    Wolfsgeheul begleitet uns, aber es ist weit entfernt. Irgendwann fliegt etwas auf weiten Schwingen knapp über uns hinweg, lautlos wie eine böse Ahnung.
    Erst als wir außer Sichtweite sind, schlägt Quirin einen scharfen Haken nach links. Auch hier hat eine Brücke die Zeit überstanden, an ihr weht kein rotes Tuch im Wind. Trotzdem überqueren wir sie vorsichtig, wir geben ein viel zu gutes Ziel ab – einzelne Silhouetten, hoch über dem Fluss.
    Auf der anderen Seite bleibt Sandor stehen. Er hält eine Sentinel-Lampe in der Hand, mit der er uns den Weg zu unserem Ziel leuchtet. Ein Loch in der Erde, ein Schlund zur Stadt unter der Stadt. Hier werden wir Zeit finden, um zur Ruhe zu kommen. Zeit zum Nachdenken.
    Zeit, um eine Verschwörung anzuzetteln.
    »Viel Glück«, sagt Sandor und deutet eine Verbeugung an. Mit der linken Hand formt er wie zufällig das Zeichen für Wildschwein. Mit der rechten berührt er meine Schulter, als würde er überlegen, mich zu umarmen.
    »Auch dir … viel Glück«, presse ich leise hervor und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Das einzige Lächeln des Tages.
    Dann folgen wir Quirin in das Reich, dessen Fürst er ist. Ich lasse alle anderen vorangehen und sehe noch einmal zum Himmel hinauf. Wer weiß, wann ich ihn wieder über mir haben werde.
    Sandor steht noch immer am Fuß der Brücke, allein, eine hohe Silhouette, dunkel in der Dunkelheit. Er hebt eine Hand und winkt, dann macht er kehrt.
    Über mir gleiten die Wolken zur Seite und enthüllen einen perfekten, scharfkantigen Mond.
     
     
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher