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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen
Autoren: Ursula Poznanski
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worden.
    Das Ergebnis wird das gleiche sein. Eine Kugel oder eine Klinge, hat Fleming noch vor wenigen Tagen gesagt, um Aureljo von seinem Plan, zu einer Sphäre aufzubrechen, abzubringen. Vorhin hat er von einem friedlichen Tod gesprochen. Jetzt knie ich vor seiner Leiche und seine Worte erscheinen mir wie eine Prophezeiung. Er hatte solche Angst.
    Ohne dass ich es verhindern kann, treten mir wieder Tränen in die Augen. Wir hätten besser aufeinander aufpassen müssen.
    »Du solltest es deinen Leuten sagen.« Sandor ist aufgestanden und ich sehe, dass er sein Messer am Gürtel trägt. Das andere, blutige, hält er vorsichtig zwischen zwei Fingern.
    Ein weiteres Mal deute ich auf meinen Hals. Ich kann nichts sagen.
    Er nickt betreten. »Tut mir leid, natürlich. Gut, dann spreche ich mit ihnen.«
    An der Tür stößt er wieder einen Pfiff aus. »Du solltest nicht mehr allein unterwegs sein. Und sei gewiss, ich halte es nicht für eine ausgemachte Sache, dass ein Sentinel Fleming auf dem Gewissen hat.« Er wirft dem toten Körper einen letzten, bedauernden Blick zu. »Unter den Dornen, aber noch mehr unter den Noranern, finden sich Dutzende, die euch lieber heute als morgen tot sehen würden. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass sie ausgerechnet Fleming töten, der so vielen von ihnen geholfen hat.« Damit lässt Sandor mich allein.
    Zwei seiner Jäger begleiten mich zurück in die Halle, wo die Vorbereitungen für das Abendessen auf Hochtouren laufen. Tycho wurde auf eine Art Matratze gelegt, er hat in der Zwischenzeit die Augen aufgeschlagen und blinzelt benommen zur Decke. Tomma hockt zusammengekauert und weinend an der Wand.
    »Ich habe es ihm noch nicht gesagt«, flüstert sie. »Ich kann nicht.«
    Ich kann es ebenfalls nicht, selbst wenn ich wollte.
    Sobald ich die Augen schließe, sehe ich Flemings totes Gesicht vor mir. Nun sind wir nur noch zu fünft und es fühlt sich so an, als hätte sein Tod einen Bann gebrochen – ab jetzt kann es jeden von uns treffen, jederzeit.
    Ich gehe zu Tycho und lege ihm eine Hand auf die Stirn. Kaum heiß, zum Glück. Er lächelt tapfer, aber schmerzerfüllt, und mir fallen die Tabletten in Flemings Hand ein. Ich habe vergessen, sie mitzunehmen, aber ich bringe es nicht über mich, noch einmal zurückzugehen.

32
    Keiner von uns isst etwas an diesem Abend. Trotzdem sitzen wir in der Halle, denn in der Menge sind wir sicherer, selbst wenn sich Flemings Mörder im gleichen Raum befinden sollte. Beschützt von unseren Feinden. Sandor hat vier seiner Jäger als Wachen für uns abgestellt und auch er selbst behält uns im Auge.
    Am tiefsten hat es Aureljo getroffen, er ist blass, seine Augen wirken entzündet. Ich habe ihn nicht weinen sehen, aber ich vermute, auch er hat die Tränen nicht zurückhalten können. Wenn ich ihn ansehe, ahne ich, was in seinem Kopf vorgeht. Die letzten Worte, die Fleming und er gewechselt haben, klingen plötzlich wie eine unheilvolle Vorahnung.
    Du wirst erst zufrieden sein, wenn wir alle tot sind.
    Ich werde erst zufrieden sein, wenn ich alles weiß.
    Obwohl Fleming fehlt, sind wir zu fünft, wie die Abende zuvor: Wir haben Tychos Krankenlager direkt neben unserem Tisch aufgebaut und auch Tomma sitzt heute wieder bei uns, als wäre es nie anders gewesen. Ihr Gesicht ist verquollen, sie will getröstet und beruhigt werden, doch niemand von uns fühlt sich dazu imstande. Irgendwann nimmt Dantorian ihre Hand und streichelt sie, woraufhin Tommas Tränen sofort wieder zu fließen beginnen.
    »Haben sie ihm aufgelauert?«, flüstert Tycho. Er ist immer wieder für kurze Zeit wach und behauptet, schon morgen aufstehen zu können. Dass er sich nach wie vor nicht fiebrig anfühlt, hat er wohl Flemings Wundreinigung zu verdanken. Seiner letzten Tat.
    »Das wissen wir nicht«, antwortet Aureljo. »Aber wahrscheinlich hat jemand in unserem Zimmer gewartet, um den Ersten zu töten, der es betritt. Oder der Mörder ist Fleming gefolgt.«
    Es hätte also jeden von uns treffen können.
    Mit einem tiefen Atemzug lehnt Aureljo sich zurück, er wirkt erschöpft, als wären die wenigen Sätze, die er gesprochen hat, unendlich anstrengend gewesen.
    Uns gegenüber unterhalten sich Sandor und Quirin, es ist ein angeregtes Gespräch, in dessen Verlauf sie immer wieder zu uns hersehen.
    Sollten sie beschließen, dass es sich nicht mehr lohnt, uns zu beschützen, müssen wir zusehen, dass wir von hier fortkommen. Denn vom Rest des Clans können wir nichts
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