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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen
Autoren: Ursula Poznanski
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Zopf auf seinem Rücken hin- und herschwingt. Rotes Haar. Selten wie Sonnenschein.
    Die Auffangstation ist in Kuppel 2d untergebracht, nicht weit von den Quartieren der Sentinel. Sie sind es, die die winzigen Bündel während der Patrouillengänge finden, sie in ihre dicken Mäntel wickeln, mit ihren Körpern wärmen und in die Sphäre bringen.
    Eine der Kinderschwestern hält mir die Tür auf, sie lächelt und sagt etwas, das ich nicht verstehen kann, so laut ist das Gebrüll hinter ihr.
    »Es sind drei«, wiederholt sie auf meine Nachfrage hin. »Zwei Jungen, ein Mädchen.«
    Ich gehe in den Raum, in dem ich mit den Kleinen allein sein und sie kennenlernen kann. Hierher komme ich gern, alles erinnert mich an meine Kindheit: alte Polstermöbel, Teppiche, an den Wänden Bilder von grünen Pflanzen unter einer hellen Sonne. Ein ähnliches Bild gab es in der Sphäre Neu-Colonia, wo ich aufgewachsen bin. Es hing an der Wand schräg gegenüber von meinem Bett und zeigte eine weite Fläche voller Blumen, die sehr hoch und sehr gelb waren. Sonnenblumen nannte Baja sie und ich fand den Namen wunderschön, auch wenn er natürlich erfunden war.
    Die Schwester bringt mir das brüllende Kind als Erstes, es windet sich, als sie es mir in die Arme legt. Dunkle Locken kleben an seiner Stirn, in dem aufgerissenen Mund kann ich noch keine Zähne entdecken. Das Gesicht ist rot wie ein Warnlicht, die Fäuste rudern gefährlich nah an meiner Nase vorbei.
    Ein Mädchen. Fünf Monate, vielleicht sechs. Mager.
    »Hat sie getrunken?«, frage ich die Kinderschwester, die schon wieder halb aus der Tür ist.
    »Ja. Eine ganze Einheit. Dafür hat sie sogar kurz mit dem Schreien aufgehört.«
    Babys zu lesen ist schwierig. Sie verstellen sich nicht, kein Stück. Doch es sind gerade die Fehler, die winzigen Ungereimtheiten der Verstellung, die am meisten aussagen.
    Das Mädchen in meinen Armen schreit, während ich mit ihm spreche, ihm den Bauch massiere, mit ihm durch den Raum gehe. Ihre Haut ist warm und sie krümmt sich nicht, sie schreit nicht vor Schmerz. Doch egal, was ich tue, sie hört nicht auf, denn ich bin die Falsche. Das Kind schreit nach seiner Mutter und es wird weiterschreien, bis es vor Erschöpfung einschläft.
    Ich schaukle es, singe und küsse das rote, verkrampfte Gesicht. »Sie hat dich weggegeben, damit du es gut hast. Warm, sicher und geborgen. Wir kümmern uns um dich, mach dir keine Sorgen.« Ich spreche mit der Kleinen, als würde sie mich verstehen, wiege sie und erzähle ihr von den Spielkuppeln in der Sphäre Neu-Colonia, wo die Kinder klettern, sich Höhlen bauen oder Wände bemalen dürfen. Irgendwann hört sie auf zu schreien und sieht mich an.
    »Du wirst nicht allein sein«, sage ich zu ihr. »Nie wieder wirst du im Schnee liegen und frieren und die Wölfe heulen hören. Du bist jetzt eine von uns.«
    Sie schließt die Augen, ihre Fäuste lockern sich. Es ist sicher nicht meine Stimme, die das bewirkt, sondern die Erschöpfung. Trotzdem.
    Als Terissa hereinkommt und mich fragend ansieht, so wie sie es jedes Mal tut, habe ich meine Entscheidung getroffen. »Schick sie zu Baja, dort passt sie hin.« Ich drücke ihr das schlummernde Mädchen in die Arme, streiche ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. Baja wird sie mit ihrer Wärme umfangen, so wie sie das bisher bei allen getan hat, uns Vitros und den Aufgelesenen, ohne Unterschied. Von anderen Ziehmüttern habe ich gehört, dass sie die Vitros bevorzugen, als wäre künstlich gezeugtes Leben wertvoller. Jemand Besseres als Baja kann der Kleinen nicht passieren.
    Mit den beiden Jungen ist es viel einfacher. Der eine quietscht die ganze Zeit vor Vergnügen und reißt mir büschelweise Haare aus, der andere schmiegt sich an mich und schläft innerhalb von Minuten ein.
    »Der Erste könnte sich in der Sphäre Bozen wohlfühlen«, empfehle ich Terissa, als sie ihren Kopf wieder durch die Tür steckt. »Der Zweite sollte eventuell nach Spessart 3 oder nach Neu-Konstanz, die ruhige Atmosphäre dort wird ihm gefallen, denke ich.« Ich lege ihr vorsichtig das schlafende Kind in die Arme, das sich kurz regt, aber nicht aufwacht.
    »Danke«, flüstert Terissa und trägt den Jungen hinaus.
    Ich bleibe noch einen Moment sitzen, atme den Babygeruch ein und frage mich, warum ich mich nicht zufriedener fühle. Ich habe die drei Kleinen nach bestem Wissen zugeteilt, etwas, das ich schon oft getan habe. Beim ersten Mal war ich zwölf. Bisher habe ich fast immer richtiggelegen, nur
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