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Die Verlorenen

Die Verlorenen

Titel: Die Verlorenen
Autoren: Vampira VA
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wie körperliche Berührungen. Und das Konglomerat von Gefühlen darin: Angst, Bedauern, Mitleid .
    Keiner der Sklaven schlief noch. Wer sich nicht in die Nähe des Herrenhauses geschlichen hatte, stand an Tür oder Fenster seiner Unterkunft und wartete zitternd ab, was geschah. Geisterhaftes Flüstern verfolgte Agamemnon, gutgemeinte Warnungen.
    »Tu's nicht!«
    »Laß sie!«
    »Bleib hier!«
    Doch Agamemnon lief weiter, schloß auf, und auf halber Strecke zum Herrenhaus holte er Semiramis schließlich ein. Seine Hände packten das Mädchen an den Schultern, rissen sie zurück. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hielt sie eisern fest und schaffte es irgendwie, auch ihren Mund zuzuhalten, so lange, bis sie aufhörte zu strampeln und zu zappeln wie ein auf dem Trockenen gelandeter Fisch.
    »Sei vernünftig«, mahnte er sie eindringlich. In ihren großen koh-lefarbenen Augen, die der Widerschein der Feuer drüben beim Haus zum Glühen brachte, las er, daß sie keine Dummheit begehen würde. Er ließ sie los.
    Schweigend sahen sie beide hinüber zu der vom Feuer beleuchteten Fläche vor dem großen Haus mit dem gewaltigen Säulenportal. Nach wie vor zerrissen Cuffeys Schreie die Nacht. Und dazwischen mengte sich wieder und wieder das heisere Fauchen und Kreischen einer Katze .
    »Laß uns hingehen«, bat Semiramis.
    »Du solltest dir den Anblick ersparen«, sagte Agamemnon.
    »Bitte.«
    »Nun gut.«
    Mem nickte. Vielleicht war es nicht schlecht, wenn Semiramis sah, was der Boß mit Sklaven tat, die aufbegehrten oder ihm einfach nur dumm kamen. Cuffeys Anblick würde sich ihr unauslöschlich einprägen, ihr eine ewige Warnung sein.
    Er nahm sie bei der Hand und zog sie hinter die dichten Büsche, die den Weg von der Sklavensiedlung zum Herrenhaus säumten. Solcherart vor Blicken geschützt, schlichen sie so nahe heran, daß Agamemnon nur noch ein paar Zweige zur Seite drücken mußte, damit sie freie Sicht hatten.
    Instinktiv löste er seine Hand aus Semiramis' Fingern und fand blind ihren Mund.
    Keine Sekunde zu früh.
    Der Schrei des Mädchens erstickte in seiner Handfläche, ehe er laut werden konnte.
    Dafür hätte Agamemnon selbst fast aufgeschrien. Weil Semiramis ihre kleinen Zähne in das Fleisch seiner Hand grub. Nicht, um ihn zu zwingen, sie wegzunehmen, sondern um dem Entsetzen, das sie packte, ein Ventil zu geben.
    Aber es nützte nichts; natürlich nicht. Es gab nichts auf der Welt, womit der grauenhafte Anblick sich hätte ertragen lassen.
    Auch Agamemnon hatte alle Mühe, nicht kurzerhand durchzudrehen, nicht einfach loszustürmen, um Cuffey zu helfen, ihn zu befreien - ihn zu retten!
    Doch alles, was er mit einer solchen blindwütigen Aktion erreicht hätte, wäre gewesen, daß er sich spätestens in der nächsten Minute neben Cuffey am Boden inmitten des von Fackeln markierten Gevierts wiedergefunden hätte, Hand- und Fußgelenke an Pflöcke gebunden, die man ins Erdreich gerammt hatte, und nackt.
    Und allenfalls fünf Minuten später wäre er ein ebenso blutiges Bündel Mensch gewesen, wie Cuffey es jetzt war .
    Das Hohngelächter und die widerwärtigen Beschimpfungen drangen trotz ihrer Nähe nur wie durch Watte an Mems Ohren. Die Schreie und das Stöhnen des schwerverletzten Schwarzen waren nicht einmal wirklich lauter, aber sie vereinnahmten den allergrößten Teil von Agamemnons Aufmerksamkeit.
    Sie und das fürchterliche Bild, das Cuffey bot. Für alles andere war Mem nahezu taub und blind. Geradezu quälend langsam schälten sich weitere Details aus dem Nebel, hinter dem der Rest der Szenerie für ihn verborgen lag.
    Da waren drei junge Burschen, von denen allein der Älteste die Zwanzig schon erreicht hatte. Ihre Ähnlichkeit zueinander resultierte jedoch nicht nur aus ihrer Jugend. Ihre Gesichter schienen beinahe wie aus einem Guß, und Verschlagenheit nistete in jedem ihrer verkniffenen Züge. Der auffälligste Unterschied zwischen ihnen war die Wahl ihrer Worte: Einer versuchte den anderen in puncto Unflätigkeit zu übertreffen, wenn es darum ging, den bedauernswerten Sklaven zu verfluchen. Und wenn einem keine üblere Beschimpfung einfiel, versuchte er das Manko seinen Brüdern gegenüber mit Laut-stärke wettzumachen.
    Drei Schritte von diesem Dreiergespann entfernt stand ein Mann, dessen Alter die Ähnlichkeit zu seinen Söhnen ein wenig verwischte. Aber auch die Härte der Falten in seinem Gesicht unterschied den Vater von den Sprößlingen. Wie mit einem Messer
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