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Die Verlorenen

Die Verlorenen

Titel: Die Verlorenen
Autoren: Vampira VA
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annehmen lassen, daß der Bewohner der Hütte gestorben war. Vor einiger Zeit bereits, so daß sein Leichnam zu dem Gestank in der Kate beitrug.
    Reglos hatte der Alte in einem Schaukelstuhl gesessen, in einem fast völlig finsteren Winkel der Hütte. Der Junge war nur deshalb auf ihn aufmerksam geworden, weil der Mann die Augen nicht geschlossen hatte und seine Augäpfel zwei kleinen Lichtern gleich in der Schwärze glänzten. Bis sie wie Lampen erloschen waren - weil der »Tote« die Lider geschlossen hatte. Dafür wurde ein gespenstisches Knarzen laut, als der Stuhl sacht zu schaukeln begann .
    Diese Begegnung war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft zwischen einem alten Mann und einem kleinen Jungen geworden, die damals nicht mehr gemein hatten als die Farbe ihrer Haut.
    Heute teilten sie auch andere Dinge.
    Geschichten. Wissen. Geheimnisse.
    Und mehr .
    Wie immer, wenn Levar nur noch ein paar Schritte von der Hütte entfernt war, stieg ein Gedanke in ihm auf, der sein Herz vor Beunruhigung schneller schlagen ließ und ihm das Atmen schwermachte: Würde heute nun tatsächlich ein Toter im Schaukelstuhl sitzen ...?
    Zefrem war nicht einfach nur alt, er war uralt in einem Sinn, daß Levar sich die Zahl seiner Lebensjahre nicht einmal ansatzweise vorzustellen vermochte. Und es war nicht nur jeder Tag ein Wunder, den Zefrem noch erlebte, sondern fast schon jede Stunde.
    Irgendwann, das wußte der Junge, würde er den Alten wirklich tot vorfinden bei seinem Besuch. Und dieser Tag - oder vielmehr diese Nacht - konnte nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen. Nach menschlichem Ermessen .
    Die Tür zu öffnen, bedeutete für Levar jedesmal einen Kraftakt. Die feuchte Sumpfluft hatte die dunklen Bohlen aufgequollen und verzogen, so daß die Türkante schwer über den Boden schleifte. Der Junge schaffte es, sie gerade weit genug aufzustemmen, daß er durch den schmalen Spalt schlüpfen konnte. Dämmerlicht und Leere nahmen ihn auf.
    Nichts regte sich, so weit die Blicke des Jungen reichten. Aber das mußte nicht unbedingt etwas bedeuten, denn Finsternis füllte die Winkel der Hütte mehr als großzügig, und in ihrem weiten Mantel konnte sich alles mögliche verbergen.
    »Zefrem?«
    Levars leiser Ruf tropfte in die Stille. Doch er blieb unbeantwortet. Sekunden reihten sich aneinander, fast zu einer Minute, dann hörte der Junge etwas. Keine Stimme jedoch, sondern einen Laut, von dem er sich nicht einmal ganz sicher war, ob er in der Hütte aufklang.
    Etwas wie ein Quietschen. Das Fiepen eines Tieres, einer Sumpfratte vielleicht. Und unzweifelhaft war es der letzte Laut, den die Kreatur in ihrem Leben ausgestoßen hatte ...
    Erst nach weiteren Sekunden geriet Bewegung in die Schwärze in einer der Ecken. Ein nur unwesentlich hellerer Schatten schälte sich heraus und schien erst mit dem Schritt, der ihn in das einfallende Streulicht des Mondes brachte, menschliche Kontur anzunehmen.
    »Du kommst spät heute«, sagte Zefrem. Seine Worte raschelten und rochen wie schimmliges Brot in einer Papiertüte.
    Levar zuckte entschuldigend die Schultern.
    »Mein großer Bruder hat von meinen Ausflügen Wind bekommen. Er möchte nicht, daß ich mich nachts draußen herumtreibe. Ich mußte warten, bis er eingeschlafen war.«
    »Weiß er denn, daß du mich besuchst?« fragte der Alte.
    Levar schüttelte den Kopf.
    »Nein«, erwiderte er grinsend. »Jake würde mich in Ketten legen, wenn er wüßte, daß ich nachts in die Sümpfe gehe.«
    »Er paßt gut auf dich auf, dein Bruder, hm?«
    »Nicht gut genug«, erklärte der Junge, »sonst wäre ich ja nicht hier.«
    »Und das wäre ein Jammer«, sagte Zefrem mit einem Lächeln, das die Runzeln und Falten in seinem Gesicht bewegte wie der Wind die Oberfläche eines schwarzen Tümpels.
    »Ja«, entgegnete Levar, wohl wissend, was der Alte meinte.
    Zefrem schlurfte hinüber in jene Ecke, in deren Dunkelheit der Junge den Schaukelstuhl wußte, ohne ihn sehen zu können. Als der Alte sich hineinsinken ließ, geisterten knarzende Geräusche durch die Finsternis, und als er im Stuhl zu wippen begann, schien die Schwärze Wellen zu schlagen.
    Unaufgefordert trat Levar zu ihm, zog sich eine alte Kiste heran und nahm darauf Platz. All das waren Teile des Rituals, mit dem sie ihr Zusammensein einleiteten. Und auch Zefrems immer gleiche Frage gehörte dazu: »Soll ich erst dir etwas erzählen, oder ...?«
    Levar schluckte trocken, wie immer, bevor er die stets gleiche Antwort gab: »Erzähl du
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