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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
Autoren: Kate Morton
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ihres eigenen Atems.
    Die Schleife um den Messergriff hatte sich gelöst, die Enden des bunten Bands berührten die Steine, die das Beet einfassten. Es war das Letzte, was Laurel sah, ehe ihr schwarz vor Augen wurde.

2
    Suffolk, 2011
    E s regnete in Suffolk. In ihren Kindheitserinnerungen von Suffolk regnete es nie. Das Pflegeheim lag auf der anderen Seite der Stadt, und der Wagen kam nur langsam voran, weil die High Street streckenweise unter Wasser stand. Schließlich bogen sie in die Einfahrt ein und hielten am Ende des Wendekreises. Laurel holte ihren Taschenspiegel hervor und klappte ihn auf. Sie schob die Haut an einer Wange hoch und beobachtete, wie die Falten sich zusammenschoben und wieder entspannten, als sie losließ. Sie machte dasselbe mit der anderen Wange. Die Leute liebten ihre Falten. Ihre Agentin sagte es, die Besetzungschefs sagten es, und selbst blutjunge Visagisten gerieten ins Schwärmen, wenn sie sich mit ihren Pinseln an ihrem Gesicht zu schaffen machten. Vor ein paar Monaten hatte eine Internet-Zeitung ihre Leser dazu aufgerufen, »das Lieblingsgesicht der Nation« zu wählen, und Laurel war auf dem zweiten Platz gelandet. Ihre Falten, hieß es, gaben den Leuten ein Gefühl von Sicherheit.
    Nun, das war schön für sie. Laurel gaben sie nur das Gefühl, alt zu sein.
    Ja, sie war tatsächlich alt, dachte sie und klappte den Spiegel zu. Und zwar durchaus nicht nur relativ alt à la Mrs. Robinson. Es war mittlerweile fünfundzwanzig Jahre her, dass sie die Rolle in Die Reifeprüfung im National Theatre gespielt hatte. Wo war die Zeit geblieben? Irgendjemand musste die verdammte Uhr vorgestellt haben, als sie nicht aufgepasst hatte.
    Der Fahrer öffnete die Tür und hielt einen großen schwarzen Schirm über sie.
    »Danke, Mark«, sagte sie, als sie das Vordach erreichte. »Haben Sie die Adresse, wo Sie mich am Freitag abholen sollen?«
    Mark stellte ihre Reisetasche ab und schüttelte den Schirm aus. »Bauernhaus auf der anderen Seite der Stadt, schmale Straße, Einfahrt ganz am Ende. Bleibt es bei zwei Uhr?«
    Nachdem sie das bestätigt hatte, nickte er knapp und eilte dann durch den Regen zur Fahrertür. Sie schaute dem Wagen nach und sehnte sich plötzlich nach einer langen Fahrt über die nasse Autobahn, egal wohin. Nur nicht hierher.
    Laurel betrachtete die Eingangstür, aber sie trat nicht ein, sondern nahm ihre Zigaretten aus der Tasche. Sie zündete sich eine an und inhalierte tief und geradezu gierig. Sie hatte eine fürchterliche Nacht hinter sich. Sie hatte furchtbar wirres Zeug geträumt, von ihrer Mutter, von diesem Ort hier, von ihren Schwestern, als sie noch Kinder waren, und von dem kleinen Gerry. Ein kleiner, ernster Junge, der ein Raumschiff aus Blech hochhielt, das er gebastelt hatte, und ihr erzählte, dass er eines Tages eine Zeitkapsel erfinden, in der Zeit zurückreisen und alles in Ordnung bringen würde. Was denn in Ordnung bringen?, hatte sie ihn im Traum gefragt. Na, alles, was schiefgegangen ist, hatte er geantwortet. Sie könne mitkommen, wenn sie wolle.
    Und ob sie wollte.
    Die Eingangstür des Pflegeheims öffnete sich mit einem Zischen, und zwei Krankenschwestern kamen heraus. Eine warf einen Blick in Laurels Richtung; ihre Augen weiteten sich, als sie sie erkannte. Laurel nickte knapp zum Gruß und ließ ihre Kippe fallen, während die Schwester sich zu ihrer Freundin beugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte.
    Rose saß auf einem der Stühle im Foyer, und einen ganz kurzen Moment lang betrachtete Laurel sie, als wäre sie eine Fremde. Sie trug eine violette Häkelstola um die Schultern, die vorn von einer rosafarbenen Schleife zusammengehalten wurde, und ihr widerspenstiges Haar, inzwischen silbergrau, war zu einem lockeren Zopf geflochten, der über ihre Schulter hing. Laurel hätte vor Zuneigung zerfließen können, als sie sah, dass der Zopf ihrer Schwester von einem Tütenverschluss zusammengehalten wurde. »Rosie«, sagte sie und verbarg ihre Gefühle hinter übertrieben guter Laune, auch wenn sie sich insgeheim dafür ein bisschen schämte. »Gott, wie lange haben wir uns nicht gesehen!«
    Rose erhob sich, und sie umarmten sich. Laurel roch Rosies Lavendelduft, so vertraut und zugleich so deplatziert. Er gehörte zu Sommernachmittagen im guten Zimmer in Grandma Nicolsons Pension, dem »Sea Blue«, nicht zu ihrer kleinen Schwester.
    »Ich bin so froh, dass du kommen konntest«, sagte Rose, nahm Laurel an der Hand und führte sie den Korridor hinunter.
    »Das
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