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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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Polizeiminister Savary hatte er gestanden: »Wer mir diesen Krieg vermieden hätte, würde mir einen großen Dienst geleistet haben, aber er ist nun endlich einmal da, und man muß sich daraus ziehen, wie man kann.« Im Klartext hieß das: Bereits Anfang Mai war Napoleon zum Krieg gegen Rußland entschlossen, auch wenn er sich gegenüber der Öffentlichkeit noch immer als Bewahrer des Friedens zeigte.

2. AUFBRUCH
    Während des Jahres 1811 erschreckte der helle Schein des nach seinem Entdecker benannten Kometen Flaugergues die Menschen in Europa. Von März bis Oktober konnte man sein Licht auch bei Tag sehen. Ein Komet verhieß den Abergläubischen Krankheiten, Mißernten und vor allem Krieg. Die Zahl der Krankheiten war 1811 allerdings nicht höher als in anderen Jahren, und von einer Mißernte konnte schon gar nicht die Rede sein, jedenfalls nicht in Deutschland, denn an diesen Sommer und Herbst würde man noch lange denken. Der Sommer zeigte sich überdurchschnittlich heiß und trocken, und der Herbst war so warm, daß man zum Beispiel in Hamburg im November noch einmal Erdbeeren ernten konnte und die Frühlingsblumen blühten, auch ließen sich im Dezember erste Maikäfer sehen. Vor allem aber bescherte er den Winzern an Rhein und Mosel eine außergewöhnliche Ernte mit einem Wein, der in die Geschichte als »Kometenwein« einging. Goethe liebte ihn über alles, sprach von »flüssigem Gold« und widmete dem »Eilfer« ein umfangreiches Lobgedicht.
    In diesem Sommer hörte Heinrich von Roos, Regimentsarzt im 3. württembergischen Regiment der berittenen Jäger »Herzog Louis«, damals in Ehingen in Garnison, erste Gerüchte von einem bevorstehenden Krieg gegen Rußland, der im kommenden Frühjahr beginnen sollte. Im Herbst kaufte das Regiment Pferde und warme Kleidung. Der Schuljugend wurde befohlen, Charpie, das damals gebräuchliche Verbandszeug aus Baumwoll- oder Leinenstoffen, zu zupfen. Am 11. Februar 1812 verließ sein Regiment (750 Reiter) die Stadt an der Donau. Auch der sächsische Husar Theodor Goethe (ein entfernter Verwandter des Dichters) hörte bereits im Frühjahr 1811 erste Gerüchte von »einem bevorstehenden Kriege mit Rußland«. Ende März 1812 brach sein Regiment (1016 Reiter) in Guben Richtung Osten auf. Und Mitte März 1812 verließ das württembergische Infanterie-Regiment Nr. 6 »Kronprinz«seine Garnisonsstadt Heilbronn. »Vom Obersten bis zum jungen Soldaten war alles in freudige Stimmung versetzt«, schrieb Leutnant Christian von Martens in sein Tagebuch.
    Auch Leutnant Wilhelm von Koenig vom württembergischen Chevaulegers-Regiment Nr. 1 war guten Muts, wie sein an die Mutter gerichteter Brief vom 16. März 1812 aus Hopfenstadt bezeugt: »Gestern passierten wir die Grenze und ließen das gute Württemberg im Rücken. Du glaubst nicht, liebe Mutter, welche Gedanken in meinem Innern aufstiegen, als ich von dem Vaterlande Abschied nahm, das ich in meinem Leben zum ersten Male verließ und, Gott weiß es, vielleicht zum letzten Male sah. Darüber bin ich ganz gefaßt, und ich darf wohl sagen, daß ich ohne die mindeste Sorge, mein Leben zu verlieren, einem blutigen Kriege entgegengehe. Schon insofern hat dieser Marsch für mich etwas Anziehendes, als ich die Welt noch nie sah.«
    Die meisten Menschen sind damals kaum über ihr Dorf oder ihre Stadt hinausgekommen. Deswegen waren Reiseberichte beliebt, allerdings nur bei denen, die sich diese Art Literatur leisten konnten, selbst wenn sie vom eigenen Land handelte. Für Süddeutsche war Norddeutschland bereits exotisch. Und die beliebten Italien-Bücher beschrieben ein Land, in das man selber vermutlich nie gelangen würde. Wenn so viele junge Menschen begeistert in die Armeen Napoleons und seiner Verbündeten eintraten, so war ihr Motiv meist Abenteuerlust. Auf diese Weise kam man kostenlos durch die Welt: nach Spanien und Portugal oder Italien und nun sogar nach Rußland.
    Karl von Suckow, Leutnant im 4. württembergischen Infanterie-Regiment in Schorndorf, war dabei, als die Offiziere des Regiments für ihren General Ernst Eugen von Hügel im dortigen Goldenen Hirsch ein Essen gaben. »Was war natürlicher, als daß sich dabei die Unterhaltung größtenteils um unsere bevorstehende Aufgabe drehte! Der General warnte, sich doch ja keinen Illusionen hinzugeben und auf alle Eventualitätenmännlich gefaßt zu sein. Ein junger Leutnant war jedoch anderer Meinung; er nahm die Sache sehr leicht und versicherte etwas vorlaut: ›So einen
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