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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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absehbar, zumal England seine Truppen auf der Pyrenäenhalbinsel immer mehr verstärkte. Napoleons Berater gaben zu bedenken, daß allein in Spanien 300 000 Soldaten waren und zwischen Pyrenäen und Oder eine gefährliche Wüste entstünde, wenn man alle Streitkräfte nach Rußland schickte. »Und wer soll Frankreich verteidigen?« rief der alte Graf Ségur beschwörend aus. »Mein Ruf!« war die stolze Antwort Napoleons. »Ich lasse Frankreich meinen Namen zurück und die Furcht, die eine unter den Waffen stehende Nation einflößt.« Keinen der Einwände ließ er gelten. Vor allem aber daß Rußland die Blockade gegen England aufgeben mußte, um nicht zusammenzubrechen, begriff Napoleon nicht, konnte es offenbar nicht begreifen. Er bestellte sich im Dezember 1811 bei seinem Bibliothekar Bücher über Rußland, seine Geographie und Topographie, dazualles über den Rußlandfeldzug des schwedischen Königs Karl XII., der 1709 zu einer Katastrophe für den König und sein Heer geworden war.
    Aber noch zögerte der französische Kaiser, obwohl inzwischen ganz Europa die kriegerische Auseinandersetzung für unvermeidlich hielt. Am 25. Februar 1812 sprach er zwei Stunden lang mit dem ihm schon länger bekannten russischen Oberst Alexander Tschernyschow, den er um Vermittlung beim Zaren ersuchte. »Ich schicke Sie zu Zar Alexander als meinen Bevollmächtigten in der Hoffnung, daß man sich noch verständigen und vermeiden könne, das Blut von hunderttausend Tapferen zu vergießen, nur weil wir uns nicht über die Farbe eines Bandes einig sind. Vor mehr als einem Jahr wäre es ein Leichtes gewesen, sich zu verständigen. – Auch jetzt ginge es noch besser als in drei Monaten. Wenn Sie daher einen Bruch mit Frankreich vermeiden wollen, so müssen Sie sich beeilen, einen Unterhändler zu schicken, denn je mehr Sie es hinausschieben, desto umfangreicher werden meine Vorbereitungen. Wenn aber der Krieg bei Ihnen eine beschlossene Sache ist, wenn Sie konsequent bleiben und alles bei Ihnen in Ordnung ist, so hängt die Wahl des Augenblicks nicht mehr von der Politik, sondern einzig und allein von den militärischen Kombinationen ab.«
    Tags zuvor, am 24. Februar, war ein Bündnisvertrag zwischen Frankreich und Preußen geschlossen worden, worin sich Friedrich Wilhelm III. bereit erklärte, ein Hilfskorps von 20 000 Mann für die nach Rußland marschierende Grande Armée zu stellen. Der am 14. März 1812 unterzeichnete Vertrag mit Österreich sah die Stellung eines österreichischen Hilfskorps von 30 000 Mann unter dem Kommando von Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg vor.
    Alexander bemühte sich inzwischen um Schweden. Ließ es sich neutral halten, so hatte Alexander die in Finnland stationierten Truppen bei der künftigen Auseinandersetzung mit Frankreich zur Verfügung. Der Zar fand bei Bernadotte einoffenes Ohr; dieser hatte es abgelehnt, sein Land durch den Anschluß an die Kontinentalsperre wirtschaftlich zu ruinieren, woraufhin Napoleon am 27. Januar 1812 Schwedisch-Pommern und die Insel Rügen besetzen ließ.
    Am 5. April schloß Schweden mit Rußland einen Geheimvertrag gegen Napoleon. Doch noch war der Krieg nicht erklärt. Der Zar hatte am 30. April durch seinen Botschafter in Paris Napoleon ein Ultimatum zustellen lassen, wonach er zu Verhandlungen nur bereit sei, wenn Frankreich vorher Preußen und Schwedisch-Vorpommern geräumt habe, wobei er aber trotzdem die russischen Häfen für die Schiffe der neutralen Staaten geöffnet halten würde. Aber über diese Schiffe kamen die englischen Waren ins Land! Napoleon antwortete begütigend, man verhandle gerade mit England um eine Friedenslösung. Das war zwar richtig, doch England lehnte Napoleons Angebote ab. Mit dieser Antwort reiste Napoleons Sondergesandter Graf Louis de Narbonne zu Alexander. Der Graf sollte dort die Augen offenhalten, denn wichtiger als die Zustellung des Briefs war für Napoleon, Informationen über die Kriegsvorbereitungen der russischen Armee zu bekommen.
    Als der Kaiser am 9. Mai in Begleitung der Kaiserin Marie Louise Paris verließ, waren alle zur Grande Armée gehörenden Truppen schon seit zwei Monaten auf dem Marsch nach Osten. Noch immer war der Krieg nicht erklärt. Vor seiner Abreise hatte Napoleon mit dem Polizeipräfekten von Paris, Étienne-Denis Pasquier, gesprochen und sich von ihm mit der Bemerkung verabschiedet, vor ihm läge ein Unternehmen, »das größte und schwierigste von allen von mir bisher gewagten«. Und seinem
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