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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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Gemahlin, Trompeten schmetterten, Trommeln rasselten, und dazwischen ertönte das Läuten aller Glocken, Kanonendonner und das Vivatrufen der Volksmenge.« Da hatten die Behörden wohl auch einige Jubelchöre postiert.
    Wilhelm von Kügelgen, der zehn Jahre alte Sohn des renommierten Dresdner Malers, erinnerte sich später an Wunderbares, nämlich »Winterschuhe« und »grüne Brillen gegen die Blendungen des Schnees«, und »endlich sahen wir noch ein ganzes Geschwader von jungen Näherinnen auf kleinen Pferden folgend, vielleicht um die Soldaten im rohen Rußland vor Verwilderung zu bewahren«. Da Kügelgen dies Jahrzehnte später aufschrieb, hatte ihn da womöglich die Phantasie getäuscht, denn andere zeitgenössischen Berichte wissen davon nichts. Allerdings liest man auch in den Aufzeichnungen seiner Mutter, Helene Marie von Kügelgen: »(…) die Offiziere selbst hatten uns damals gesagt, er (Napoleon) habe allein achtzigtausend Brillen mitgenommen, damit der Schnee besonders seine Kavallerie nicht blenden möchte, wie auch eine Menge Sämereien, Gärtner, Nähermädchen und dergleichen.« Solch Fabulösem waren keine Grenzen gesetzt. Als Frau von Kügelgen, die aus Livland stammte und sich alsRussin fühlte, eine Bekannte darauf hinwies, Napoleon werde noch der russische Winter zu schaffen machen, wurde sie belehrt: »Nein, da glauben wir vielmehr, daß es dieses Mal gar nicht Winter werden wird, denn ihm muß alles glücken. Wie war es auch, als er sich von der Kaiserin Josephine trennte und Marie Louise heiratete, um einen Thronerben zu bekommen – hatte er diesen nicht bald genug in seinen Armen?«
    Napoleon ließ sich Zeit, was jeder sehen sollte. Er ging zweimal in die Oper, gab Diners für die Fürsten, nahm teil an einer Wildschweinjagd in Moritzburg, wo er im Schloß ein Frühstück gab, besuchte ein Konzert, hörte in der Hofkirche eine Messe, machte einen Spaziergang durch die Stadt, bei dem er die Frauenkirche besichtigte, und feierte demonstrativ den Geburtstag von Maria Pawlowna, weniger weil sie die Frau des Erbprinzen von Sachsen-Weimar-Eisenach, sondern die Schwester des Zaren war. Vielleicht würde Alexander I. ja doch noch auf seine Forderungen eingehen? Aber der ließ sich nicht umstimmen. Der Sondergesandte des Kaisers, Graf Narbonne, überbrachte am 28. Mai dem Kaiser einen abschlägigen Bescheid des Zaren, und das bedeutete für Napoleon nun definitiv Krieg. Schon am nächsten Morgen um vier Uhr verließ er Dresden und begab sich über Bautzen und Glogau zur Armee. Noch Anfang Mai hatte er zu seinem Adjutanten, General Jean Rapp, gesagt: »Wenn ich kann, werde ich den Krieg vermeiden.« Aber wie sollte er jetzt noch den Aufmarsch von mehr als einer halben Million Soldaten anhalten und diese Grande Armée demobilisieren? Er wollte es nicht mehr, falls er überhaupt ernsthaft daran gedacht haben sollte.
    Marie Louise, die von Napoleon in Dresden weinend Abschied genommen hatte, denn sie liebte ihn wirklich, reiste am 4. Juni nach Teplitz und Karlsbad, wo ihr am 2. Juli ein Begrüßungsgedicht Goethes, der zu dieser Zeit krank darniederlag, überreicht wurde. Ihro der Kaiserin von Frankreich Majestät war eine beeindruckende Huldigung an Napoleonund an Marie Louise, die in diesen Stanzen fast als eine neue Gottesmutter gefeiert wird.
    Worüber trüb Jahrhunderte gesonnen
    Er übersieht’s in hellstem Geisteslicht,
    Das Kleinliche ist alles weggeronnen,
    Nur Meer und Erde haben hier Gewicht;
    Ist jenem erst das Ufer abgewonnen,
    Daß sich daran die stolze Woge bricht,
    So tritt durch weisen Schluß, durch Machtgefechte
    Das feste Land in alle seine Rechte.
    »Der Alles wollen kann, will auch den Frieden«, endet die Hymne des Weimarer Napoleon-Verehrers. Doch diese Hoffnung trog. Am 2. Juli, als die Kaiserin diese Zeilen las, befand sich Napoleon bereits in Wilna, standen seine Armeen auf breiter Front auf russischem Boden, denn seit dem 24. Juni 1812 sprachen die Waffen.

4. IN POLEN
    Napoleon war sich schon sehr früh bewußt, daß ohne die ausreichende Versorgung der Soldaten kein Krieg geführt werden konnte, vor allem keiner wie dieser. In Österreich und Preußen hatte sich die Armee aus dem Land des Gegners verpflegt, denn hier war es auf Geschwindigkeit angekommen, man konnte nicht einen großen Fuhrpark mitnehmen. Dies Prinzip kam aber für den russischen Feldzug nicht in Frage. Das riesige, zum Teil nur dünn besiedelte Land würde die Versorgung von einer halben Million Soldaten
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