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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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nicht leisten können.
    Um ein sicheres logistisches System zu schaffen, ließ Napoleon zwischen Oder und Njemen (Memel) eine Kette von Magazinen anlegen; die größten befanden sich in Danzig, Thorn und Königsberg; ihre Vorräte, vor allem Mehl und Reis,wurden ständig aufgefüllt. Zum Transport hatte Napoleon einige tausend Wagen in verschiedenen Größen bauen lassen, die von Ochsengespannen gezogen wurden. Vor allem aber war der Transport über die Flüsse vorgesehen: über das Frische Haff, Pregel, Deine, Friedrichs-Kanal und Wilia. Und der Kaiser ließ es sich nicht nehmen, persönlich die Magazine und Transporteinrichtungen zu inspizieren. Sich durch Requirieren aus dem Land zu versorgen war verboten; Plünderern drohte die Todesstrafe. Dies war die Theorie, die Praxis sah ganz anders aus, und das erlebten die Soldaten bereits in Polen, zwei Monate vor Kriegsbeginn. Bis zur Oder konnten die Regimenter mit regelmäßiger Verpflegung rechnen. Sie waren ja bei Deutschen einquartiert, fanden überwiegend freundliche Aufnahme, und man ließ sie nicht darben. Meist kamen die Kommunen für die Kosten auf. Doch bereits in Frankfurt a. d. Oder klagte Jakob Walter, Soldat im württembergischen Infanterie-Regiment Nr. 4 »Franquemont«, daß dort »schon mit geringer Kost und Kommißbrot vorlieb genommen« werden mußte.
    Der erste Eindruck von Polen war durchweg negativ. Die Soldaten klagten über Schmutz und Ungeziefer und unzulängliche Versorgung. »Wir kriegen hier schlechtes Essen und Trinken, denn es gibt hier sehr arme Bauern, die nicht in Häusern, sondern nur in Hütten wohnen, wo man die Läuse an den Wänden kriechen sehen kann«, schrieb der Hamburger Johann Heinrich Gottfried Meyer, Soldat im 127. französischen Infanterie-Regiment, am 20. April aus Unislaw bei Bromberg an seine Mutter. »Schweine, Gänse und Hühner logieren mit uns in einer Stube; es gehört ein guter Magen dazu, diese Schweinerei gewohnt zu werden, jedoch habe ich guten Mut, daß wir bald mit unserm Feinde zusammentreffen werden.« Und sein Regimentskamerad, der Hamburger Johann Friedrich Wagener, klagte in einem Brief vom 13. Mai aus Blonache: »Auf dem Dorf, wo ich lag, aßen die Leute nichts als Kartoffeln mit Salz. (…) Brot, Butter war bei ihnennicht zu finden, wir kriegten unser Brot und Fleisch geliefert, aber das Fleisch war sehr schlecht; das schlimmste dabei waren die vielen Läuse, sie liefen auf den Bänken herum, und wir lagen unser vier Mann in solchem Schweinestall, denn anders kann man es nicht nennen, denn wir hatten kaum Platz darin. Ich wurde krank dort und kriegte das Fieber all um den andern Tag; das habe ich noch, ich habe all genug gebraucht. Ins Hospital kommt man jetzt so leicht nicht. Der Doktor kommt bei mir ins Quartier, die Medizin muß ich bezahlen. Wenn ich nur wieder gesund wäre, ehe es vorwärts ginge. Hier ist es etwas besser wie dort in Polen, reinliche, bessere Häuser, aber die Menschen sind hier arm; das Land ist schon so sehr mitgenommen, Brot findet man hier auch nicht, und wo man noch Heu, Stroh, Hafer und anderes mehr findet, wird es weggenommen und alles an die Magazine geliefert. Teuer ist hier alles, und denn kann man es noch nicht einmal kriegen. Ich kann nicht immer essen, was wir geliefert kriegen, als die Erbsen alle Tage, die sind beim Fieber gar nichts nutz. Will ich mir Butter kaufen, muß ich acht gute Groschen für ein halbes Pfund geben, und man kann es nicht mal bekommen. Bier hat man auch nicht mehr, als was wir geliefert kriegen, denn für Geld können wir hier auf unserm Dorfe nichts kriegen, man muß also Wasser trinken.«
    Resigniert schrieb auch Fritz Wolf, Leutnant im 2. westphälischen Infanterie-Regiment, am 12. Juni aus Zagurow an seine Angehörigen in Kassel: »Essen gibt es nicht, wenn wir uns nicht ein Stück Wild schießen, und das gibt es auch nicht immer.« Den Soldaten war im April befohlen worden, sich nach dem Überqueren der Weichsel für 25 Tage zu verproviantieren, diese Lebensmittel aber erst nach dem Passieren der russischen Grenze zu verbrauchen. Doch wovon sollten sie vorher leben? Aus den Magazinen in Polen? Heinrich Friedrich von Meibom, Oberstleutnant im 8. westphälischen Infanterie-Regiment, beschrieb die Praxis. Danach waren für jeden Soldaten als eiserne Ration 15 Pfund Mehl anzuschaffen, wovon er selber 9 Pfund(= 4,5 kg) zu tragen hatte, das übrige wurde auf Wagen verladen. Das in einen Leinensack gefüllte Mehl kam in den Tornister. »Der
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