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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation
Autoren: Rainer Erler
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    Der Nachruf war kurz.
    Ich hatte das Erste Programm eingeschaltet, die Tagesschau der ARD. Der Empfang der UHF-Kanäle des zweiten und dritten Programms ist hier wegen der Berge manchmal sehr schlecht. Vielleicht liegt das auch an unserem bayerischen Föhn. Der muß ohnehin für so vieles herhalten, was hier im Süden unerklärlicherweise nicht funktioniert. Logisches Denken am Montagmorgen zum Beispiel.
    Die Aufnahmen vom Mond kommen vorzüglich herunter, nur die letzten acht Kilometer, die scheinen unüberwindlich! Heute liefen, zur Abwechslung, Jalousie-Schatten über den Bildschirm.
    Es war bereits zehn nach acht. Nachrichten in Schlagzeilen: Ein Foto von Roczinski. Der Sprecher sagte etwas von langjähriger Tätigkeit für das deutsche Fernsehen und von einem Autounfall in den USA. Das war alles.
    Das ging so vorbei, wieder einer tot, einer, den man nicht persönlich gekannt hat. Der anonyme Tod tut uns nicht weh. Als nächstes ein Bild von einem, der noch lebte, ein Jubilar. In Freiburg beging heute seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag. Roczinski wurde zweiundvierzig.
    Um halb zehn läutete das Telefon: »Hallo, Sie arbeiten beim Fernsehen, ja?« Kein Name, keine Entschuldigung für den späten Anruf, ausländischer Akzent, wer war das?
    »Ja, ich bin Autor und Regisseur, stimmt! Und Sie sind Schauspieler?«
    »Schauspieler? Nein! Wie kommen Sie darauf?« Wie komme ich darauf? Es war das Nächstliegende. Schauspieler rufen hier zu jeder Tages- und Nachtzeit an. Fremde und Freunde wollen sich in Erinnerung bringen; für den Fall, daß ich wieder mal einen Film zu besetzen habe… Gut, er war also keiner. Aber vielleicht war er Schriftsteller, Dichter, Drehbuchautor, Erfinder von Geschichten, der mir eine seiner Ideen andrehen will? Oder Teppichhändler. Das war die neueste Heimsuchung. Günstige Gelegenheit, Discountpreise. Direktimporte aus Persien.
    »Ich bin nicht Schauspieler, und ich habe keine Teppiche, und ich erfinde auch keine Geschichten. Mir geht es um die Wahrheit, verstehen Sie! Ich bin Amerikaner. Ich bin nur wenige Tage hier in München. Mein Name ist Wingard.« Sein Deutsch war eigentlich ausgezeichnet. Den leichten Akzent hielt ich für Masche. »Ja, Herr Wingard, was kann ich für Sie tun?« Dummes Geschwätz. Ich hatte nicht die geringste Absicht, etwas für diesen unbekannten Amerikaner zu tun, der nachts um halb zehn bei mir anruft.
    »Sie können gar nichts für mich tun! Haben Sie die Nachrichten gesehen, im Fernsehen, heute um acht?«
    »Ja, warum?«
    »Und was sagen Sie dazu?«
    »Wozu?«
    »Zu dem Autounfall!«
    Was für ein Autounfall? Aber dann kam mir doch so eine Ahnung.
    »Sie meinen diesen Reporter, diesen… diesen Roczinski?«
    »Roczinski, ja! Sie sagen das so… so… Haben Sie ihn nicht gekannt?«
    »Persönlich, nein! Leider.«
    »Ich denke, Sie sind beim Fernsehen?«
    »Ja, aber von denen, die für Tagesgeschehen oder Dokumentation arbeiten, kenne ich kaum jemanden. Ich bin diesem Roczinski nie begegnet. Wir haben uns nie gesehen.«
    »Das ist dumm! Dann sind Sie für mich der falsche Mann!«
    »Der ›falsche Mann‹ – wofür?«
    »Die sprachen in den Nachrichten nur von ›Autounfall‹! Autounfall! – Das sagt doch gar nichts – oder? Ich habe angerufen bei denen. In Hamburg, bei der Tagesschau. Habe ihnen die Geschichte erzählt, was da wirklich los war, was da passiert ist am 11. November. Aber alles Ignoranten. Ich bin sicher, wenn Sie die Geschichte kennen und es denen plausibel machen… Irgendwann muß doch die Wahrheit ans Licht, finden Sie nicht?«
    »Welche Wahrheit?«
    »Die Wahrheit über Roczinski. Die Wahrheit, warum er sterben mußte, verstehen Sie! Roczinski wußte einfach zuviel. Er hat diese Leute verfolgt, sie wollten ihn los sein.«
    »Welche Leute?«
    »Roczinski starb, weil er einer außerirdischen Macht im Wege war.«
    »Aha.«
    »Ja, Sie haben mich richtig verstanden! Er hat Wesen verfolgt, die unsere Erde besuchten. Sie kamen irgendwoher. Von einem anderen Sonnensystem, von einem anderen Planeten. Abgesandte einer fremden Zivilisation. Er hat sie verfolgt. Sie fühlten sich bedroht. Sie haben ihn getötet. Ganz einfach!«
    »Ganz einfach, natürlich…«
    Also doch ein Mann, der Geschichten erfindet – verrückte Geschichten, Horror – Utopia – Science fiction… Ein Spinner, der nun gereizt wurde.
    »Sie nehmen mich nicht ernst, was? – Hören Sie, ich kann Ihnen das beweisen! Ich besitze das gesamte Material. Es
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