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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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Wirtschaft stand vor dem Kollaps. Sein Staatsdefizit betrug 100 Millionen Rubel und der Wert seines Papiergelds hatte fünf Sechstel eingebüßt. Außerdem fühlte sich Alexander bedroht. Ganz Norddeutschland verwandelte sich in ein französisches Heerlager, die einst preußischen Festungen (wozu auch Thorn und vor allem Danzig gehörten) verstärkten ihre französischen Besatzungen. Auch Polen bekam mehr französischen Schutz, nachdem Warschau im April 1811 signalisiert hatte, die Russen konzentrierten ihre Truppen an seinen Grenzen, möglicherweise stehe ein Angriff bevor. Und nun begann auf beiden Seiten ganz offen die mit Nachdruck betriebene Aufrüstung. Gegen wen der jeweils andere rüstete, blieb für niemanden ein Geheimnis. Konnte unter diesen Umständen der Frieden überhaupt noch gerettet werden?
    Anfang 1811 hatte der Zar bereits ernsthaft über einen Angriffskrieg gegen Frankreich nachgedacht. Er ließ in Polen sondieren, unter welchen Bedingungen man dort seinen Offensivplan unterstützen würde. Alexander versprach viel, sogar die Wiederherstellung des alten Königreichs Polen, wollte sich dann aber nicht auf Einzelheiten festlegen, worauf die Stimmung bei seinen polnischen Gesprächspartnern umschlug. Ein Krieg erschien dem Zaren dennoch aussichtsreich, noch standen rechts der Oder nur 46 000 französische Soldaten, die einem Angriff der überlegenen russischen Armee nicht standhalten würden, auch wenn sie durch die Truppen des Herzogtums Warschau (56 000) verstärkt würden. Angesichts der wachsenden französischen Aufrüstung könnten sich die militärischen Kräfteverhältnisse aber baldändern. Und so träumte der Zar von einer großangelegten Offensive mitten durch das Herzogtum Warschau bis zur Oder, wo sich das auf Revanche sinnende Preußen ihm anschließen würde – jedenfalls war er davon überzeugt. Am 15. Februar bot er Österreich für eine Allianz die Fürstentümer Moldau und Walachei an, was Wien aber ablehnte. Auch sein Argument, Napoleons Armee sei in Spanien gebunden, wollte nicht verfangen. Schließlich hatte Napoleon 1809 den österreichischen Angriff in wenigen Monaten zerschlagen, obwohl er damals auch schon in Spanien Krieg führte.
    Und Schweden? Der schwedische Kronprinz – Napoleons einstiger Marschall Bernadotte – hatte gerade einen Krieg gegen Rußland verloren und wäre lieber Napoleons Verbündeter geworden, obwohl beide sich haßten. So bot er dem Kaiser 50 000 Soldaten an für den Preis von Norwegen. Doch Norwegen war damals eine Provinz Dänemarks, einer der treuesten Verbündeten Frankreichs. Napoleon lehnte ab. Letztlich war Schwedens Angebot unrealistisch, denn ein Krieg mit Rußland hätte einen Krieg mit England bedeutet, dessen unschlagbare Flotte die Ostsee beherrschte und Schwedens Küsten kontrollierte.
    In St. Petersburg gab es inzwischen einflußreiche Persönlichkeiten, die dem Zaren nahelegten, als friedliebender Monarch, der sich auf den Schutz seiner Grenzen beschränkte, würde er in der Weltmeinung eine bessere Figur abgeben denn als Aggressor. Das sah Alexander nach den enttäuschenden Erfahrungen ein, und er legte seine Angriffspläne ad acta. Allerdings rüstete er mit Macht auf, ließ Festungen am Dnjepr und an der Düna anlegen und lehnte die von Napoleon verlangte Rücknahme des Ukas vom 31. Dezember ab: Die desolate Finanzlage seines Staates ließe ihm keine andere Wahl, teilte er ihm mit. Die nun vor aller Augen intensiv betriebene russische Aufrüstung beschleunigte auch die französische, so daß eine militärische Auseinandersetzung inzwischen unvermeidlich schien.
    Napoleon wußte sehr genau, daß ein Krieg gegen Rußland eine überaus gefährliche Herausforderung mit ungewissem Ausgang bedeutete, und dennoch plante er ihn und hoffte gleichzeitig, Alexander würde es sich angesichts der sich entwickelnden riesigen Grande Armée (diesen Namen gab er ihr am 23. November 1811) in letzter Minute noch anders überlegen und einlenken, da es für ihn doch nur um die Einhaltung des Tilsiter Vertrags ging, denn andere Ansprüche stellte der französische Kaiser nicht.
    Als nun am 5. Juni 1811 Napoleon Caulaincourts Rat einholte, empfahl ihm dieser, er solle – als Zeichen seiner friedlichen Absichten, um das Bündnis mit Rußland zu erhalten – seine Truppen in der Festung Danzig und in Norddeutschland merklich reduzieren und jenen Vertrag unterzeichnen, der die Wiederherstellung des Königreichs Polen in seinen alten Grenzen für immer
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