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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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untersagte, zumal ihm Napoleon versicherte, daß diese Wiederherstellung ohnehin nicht seine Absicht sei. Und was das fragwürdige Lizenzsystem anlange, so meinte er: »Ew. Majestät können nicht hoffen, den Russen ebenso wie den Hamburgern auf die Dauer Entbehrungen auferlegen zu können, die Sie sich selbst nicht auferlegen. Wenn Sie zur strengen Beobachtung des vereinbarten Systems zurückkehren, zweifle ich nicht, daß Rußland Ihnen folgen wird. Wenn Sie Ausnahmen für Frankreich zulassen, verlangt die Lage der Russen solche auch für sie. Man muß sie also dulden.«
    Das war allerdings längst unrealistisch geworden, denn selbst bei Verzicht auf die sehr fragwürdigen Lizenzen wäre Rußland auch dann nicht mehr in der Lage, seine zusammenbrechende Wirtschaft zu sanieren; die Handelsblockade mußte fallen, und es erstaunt, daß Caulaincourt, dem dies sicher bewußt war, es mit keinem Wort erwähnt. Auf die Frage Napoleons, ob der Zar Angst vor ihm habe, antwortete der ehemalige Botschafter: »Nein, Sire! Wenn er auch Ihre militärischen Gaben gebührend würdigt, so hat er mir doch oft gesagt: sein Land sei groß; Ihr Genie könne Ihnen vieleVorteile über seine Generale geben; aber wenn man keine Gelegenheit fände, Ihnen unter günstigen Umständen auf dem Schlachtfelde entgegenzutreten, so habe man Spielraum genug, um Ihnen Gelände zu überlassen, und es bedeute schon einen Erfolg, wenn man sie von Frankreich und Ihren Hilfsquellen entferne. Man weiß in Rußland, daß man nicht dort schlagen darf, wo Ew. Majestät stehen. Aber da Sie nicht überall sein können, so bekennt man sich ganz offen zu dem Plan, nur dort zu schlagen, wo Ew. Majestät nicht sein werden.« Es werde »kein Eintagskrieg« sein, zitierte Caulaincourt die Worte Alexanders. »Ew. Majestät werden einmal gezwungen sein, nach Frankreich zurückzukehren, und dann werden alle Vorteile auf seiten der Russen sein.« Der Franzose sei zwar tapfer, aber lange Entbehrungen, der Winter, das furchtbare Klima würden ihn entmutigen und nicht zuletzt der entschiedene Entschluß, der laut verkündete Wille des Zaren, er werde den Krieg durchhalten und nicht die Schwäche zeigen, wie so viele Fürsten vor ihm, den Frieden in seiner Hauptstadt zu unterzeichnen. Lieber zöge er sich bis nach Kamtschatka zurück, als Provinzen abzutreten und einen Vertrag abzuschließen, »der nur ein Waffenstillstand« wäre.
    Napoleon hatte diesen Ausführungen »gespannt, ja erstaunt« zugehört, dann dem Marquis jedoch seine Streitkräfte und seine Hilfsmittel aufgezählt, und Caulaincourt fürchtete, »daß es für den Frieden nichts mehr zu hoffen gab«. Es sei gerade immer diese militärische Aufzählung gewesen, die den Kaiser berauscht habe. In einem letzten Versuch beschwor er Napoleon, die anstehenden Probleme – Polen, Oldenburg, Danzig, Handelsfragen – in Verhandlungen zu lösen. »Krieg und Frieden liegen in Ihrer Hand, Sire! Um Ihres eigenen Heiles, um des Heiles Frankreichs willen flehe ich Ew. Majestät an, zu wählen zwischen den Gefahren des einen und den sicheren Vorteilen des anderen!« Doch als die Unterredung nach fünf Stunden endete, war für Caulaincourt endgültig klar, daß es »keinerlei Hoffnung für die Erhaltung des Friedens in Europa« mehr gab.
    Der Marquis de Caulaincourt war nicht der einzige, der Napoleon vor einem Krieg mit Rußland warnte. Auch Louis-Philippe de Ségur, der von 1785 bis 1789 als französischer Botschafter in St. Petersburg gewesen war, der Vater des Generals, unterstützte Caulaincourt und wies darauf hin, wie verderblich die ungeheure Ausdehnung der Front für die französische Armee werden müßte, in deren Rücken man ein unterworfenes, rebellisches Deutschland zurücklasse. Der Finanzminister, Nicolas-François Graf Mollien, verwies auf die ökonomischen Schwierigkeiten, die ein neuer Krieg für Frankreich mit sich bringen müßte, zumal sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise befand. Auf die ungünstigen klimatischen Bedingungen Rußlands machte Géraud-Christophe-Michel Duroc aufmerksam, der ein enger Vertrauter Napoleons war.
    Für ihre Angriffskriege von 1800, 1805, 1806/07 und 1809 hatten die Besiegten hohe Reparationen an Frankreich leisten müssen. Frankreichs Staatshaushalt war also durch diese Kriege nicht belastet worden. Doch der Krieg mit Spanien, den Frankreich begonnen hatte und der nun schon vier Jahre dauerte, verursachte hohe Kosten. Und ein Ende dieser Auseinandersetzung war nicht
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