Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen
Autoren: Amanda Stevens
Vom Netzwerk:
verraten.“
    „Wie es allen Geheimgesellschaften früher oder später ergeht, ist auch der Orden inzwischen ziemlich kastriert worden“, spottete der Mann über The Order of the Coffin and the Claw , den Orden des Sarges und der Klaue. „Die Mitglieder haben nicht mehr die Macht, die sie früher einmal hatten. Das Risiko würde ich also eingehen.“
    „Dann bist du ein größerer Idiot, als ich dachte.“
    „Und du bist größenwahnsinnig mit einer Achillesferse. Du hast das gleiche Problem, Nicholas, das schon dein Vater und dein Großvater hatten. Deine größte Stärke ist zugleich auch deine größte Schwäche. Wenn ihr Name plötzlich in der Öffentlichkeit ...“
    „Deine Tante ist eine alte Frau. Zieh sie nicht in deine erbärmliche Intrige mit hinein!“
    Der Mann lachte. „Ich rede doch nicht von Violet. Ich rede von ihrer Mutter. Noch aus dem Grab heraus hat Ilsa Tisdale die Macht, dich zu zerstören ... und das weißt du auch.“
    Als er ihren Namen aussprach, legte sich eine eisige Hand auf Rees Schulter.
    Schaudernd drehte Ree sich um, überzeugt, dass jemand den Raum betreten hatte, ohne dass sie es gemerkt hatte. Man hatte sie auf frischer Tat ertappt, wie sie eine private Unterhaltung belauschte, und einen Moment lang setzte tatsächlich ihr Herz aus.
    Doch das Büro hinter ihr war leer.
    Sie spürte, wie Erleichterung sie durchströmte, doch dann fröstelte sie in einem plötzlichen Luftzug. Vielleicht hatte sich die Klimaanlage eingeschaltet, und sie stand direkt vor der Lüftung. Das würde die Gänsehaut erklären, die sich auf einmal auf ihren Armen und in ihrem Nacken bildete.
    Doch Ree achtete nicht auf Eiseskälte und sagte sich, dass sie das Büro verlassen sollte, bevor sie wirklich erwischt wurde. Trotzdem blieb sie wie versteinert stehen, vor Angst, aus Versehen irgendein Geräusch zu verursachen und damit die Aufmerksamkeit von Dr. Farrante und seinem Besucher zu erregen. Was sie belauscht hatte, war schlicht und ergreifend Erpressung gewesen – sofern Erpressung überhaupt schlicht und ergreifend sein konnte. Die ganze Unterhaltung hatte sie aufgewühlt, und sie wusste, dass sie später in Ruhe darüber nachdenken und jedes verstörende Detail durchgehen würde.
    Doch was konnte sie tun? Auch wenn das Ganze noch so schlimm war, es hatte absolut nichts mit ihr zu tun.
    Trotzdem konnte sie eine düstere Vorahnung nicht abschütteln, und sie wusste, dass die Drohungen und die versteckten Anspielungen, die sie in diesem Büro mitangehört hatte, das Bild, das sie bisher von Nicholas Farrante gehabt hatte, für immer verändern würden. Aber ... sie hatte später noch genug Zeit, sich über ihren gefallenen Helden den Kopf zu zerbrechen. Im Moment musste sie nur hier raus.
    Sie wandte sich gerade zum Gehen, als sie sich an die Aktenmappe erinnerte, die sie auf den Schreibtisch der Assistentin gelegt hatte. Wenn Dr. Farrante diese Mappe heute Abend sah, wusste er, dass jemand hier gewesen war. Ein kurzes Gespräch mit Trudy McIntyre würde Rees Namen enthüllen, und Ree hatte das bedrückende Gefühl, dass ein akademischer Verweis und die sofortige Entlassung aus dem Krankenhaus dann ihre kleinsten Probleme sein würden.
    Sie tastete sich zum Schreibtisch zurück, nahm die Mappe und hielt inne. Das Gepolter, das aus Farrantes Büro drang, gab ihr das beruhigende Gefühl, dass man sie nicht ertappt hatte. Sie schlich durch den Raum, wobei ihre Schritte auf dem dicken Teppich zum Glück nicht zu hören waren, und schlüpfte gerade auf den Flur hinaus, als sie hörte, wie hinter ihr die Türen aufgingen und die Stimmen lauter wurden.
    Verzweifelt suchte Ree nach einem Fluchtweg. Zur Treppe würde sie es nie im Leben rechtzeitig schaffen, und sie konnte sich hier nirgendwo verstecken. Also fuhr sie herum und trat wieder zur Tür zurück, so als wäre sie gerade erst gekommen, und blieb stehen in gespielter Überraschung, als ein Mann aus Dr. Farrantes Büro rannte.
    Er sah aus wie Mitte vierzig, war groß und drahtig und hatte ein so unscheinbares Äußeres, dass er in der Masse untergehen würde. Doch Ree hatte ein gutes Gedächtnis für Gesichter; eine Gabe, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, der Privatdetektiv war. Fast instinktiv prägte sie sich seine Gesichtszüge ein – die nicht sehr markante Kieferpartie und das ebenso wenig ausgeprägte Kinn, die Tränensäcke unter den Augen, die darauf hindeuteten, dass er einen Hang zum Trinken hatte. Als ihre Blicke sich trafen, wurde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher