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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in den Hosentaschen vergraben, und sah über den Fluß. Gegenüber, auf der anderen Seite, glomm noch die Glut an den Bäumen. In der Ferne war der Nachthimmel gerötet … dort fraß sich das Feuer weiter durch die Taiga.
    Sie stand auf, ging zu ihm und umarmte ihn von hinten. Er fühlte sich kalt an, als habe er auf Eis gelegen, und er schauderte zusammen, als Katjas warme Zärtlichkeit in ihn überfloß.
    »Wir müssen es wagen –«, sagte sie leise. Sie wußte genau, was er dachte. »Es gibt wirklich nur diesen einen Weg.«
    Seine Stimme klang ebenfalls wie vereist. »Katjuschka, wir werden es nicht schaffen …«
    »Ich habe in Moskau, als ich noch Assistenzärztin war, einen amerikanischen Botschaftsrat gekannt«, sagte sie und streichelte seinen Nacken. »Er gab mir heimlich amerikanische Zeitungen zu lesen, und einmal stand darin – bei uns verschweigen sie das ja – daß aus der Tschechoslowakei zwei Männer, zwei Frauen und vier Kinder mit einem Sportflugzeug nach Westdeutschland geflohen sind, obgleich keiner von ihnen jemals in einem Flugzeug gesessen hat. Und trotzdem gelang es ihnen. Auf einer Wiese in Bayern landeten sie, das Flugzeug zerbrach, aber sie kamen unverletzt heraus. Warum soll es dir nicht auch gelingen, Andrejuscha?«
    Er schwieg, nahm ihre Hände und küßte sie.
    »Ich habe Angst –«, sagte er stockend. »Um euch Angst. Katja, ich bin kein Held. Ich war nie ein Held. Ich bin ein ganz normaler, kleiner, ängstlicher Mensch.«
    »Und hast doch die Taiga besiegt –«
    »Was blieb mir anderes übrig?«
    »Was bleibt dir morgen anderes übrig, Andrej?«
    Er nickte und wandte sich ab vom Ufer. »Ich werde immer den Fluß entlang fliegen«, sagte er. »Immer in der Mitte. Wenn wir abstürzen, dann haben wir noch eine winzige Chance. Der Fluß fließt nach Süden – und dort werden Menschen sein.«
    Sie lächelte zustimmend und versuchte, ihm damit Mut zu geben. Wie einfach wäre das alles gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß dieser Fluß Tjung hieß und im Süden in den Wiljuj mündete. Und genau an der Mündung lag die Stadt Wiljuisk mit ihren großen Sägewerken, der Zentrale der nordsibirischen Geologen, einer Forschungsstelle für die Erschließung der Taiga, einem Materiallager für die Außenstellen der Versuchsbohrungen. Ein kleines Theater gab es da, einen Heiratspalast, ein Parteihaus, eine kleine Kongreßhalle, Schulen, ein Strandbad am Strom, ein Stadion für alle Sportarten, eine Tanzschule und ein Krankenhaus.
    Sechshundert Werst den Tjung hinunter. Was sind sechshundert Werst in der Taiga? Man spricht nicht darüber. In Sibirien redet man nicht über Entfernungen.
    »Du mußt schlafen, Andrejenka –«, sagte die Susskaja zärtlich. »Ein müder Flieger ist schrecklicher als ein müder Liebhaber.«
    Sie führte ihn zum Feuer zurück, er legte sich auf die aschebedeckte Erde, schloß die Augen und schlief ein unter dem beruhigenden und mütterlichen Streicheln ihrer Hände.

XXXVI.
    Beim Morgengrauen war er wieder wach. Er blies das Feuer an, holte in einer leeren Konservendose Wasser aus dem Fluß, machte es heiß und weckte dann Katja Alexandrowna. Sie tranken das heiße Wasser – der Russe nennt es Kipjatok –, aßen den Rest der kalten Bohnen und des Gulaschs, Katja gab Amalja noch einmal die Brust, und Andreas löschte unterdessen das Feuer mit mehreren Büchsen Wasser.
    »Das letzte Mal durch den Fluß«, sagte er. Sie standen am Ufer und blickten zu dem Flugzeug. Die Morgensonne blinkte auf dem roten Stern am Leitwerk und blitzte in den Scheiben des Cockpits. Ich hätte die Maschine gestern abend ans Ufer ziehen müssen, dann wäre das Einsteigen jetzt leichter, dachte Andreas. Aber wieviel Kraft hatte ich gestern noch?
    Er zuckte zusammen. Neben ihm war Katja in den Fluß gestiegen. Sie hielt Amalja über ihren Kopf, ging weiter, das Wasser erreichte ihre Schultern, dann verlor sie den Grund und schwamm.
    »Gib mir das Kind!« rief Andreas. »Katja! Du kannst es nicht mehr halten!« Er sprang mit einem weiten Satz hinterher, tauchte eine lange Strecke, kam prustend neben ihr hoch, nahm ihr Amalja ab und schwamm mit kräftigen Beinschlägen zur Insel. Sie waren so weit oberhalb in den Fluß gegangen, daß die Strömung sie genau auf die Steine zutrieb.
    Katja Alexandrowna erreichte als erste das Flugzeug, kletterte an einem der Schwimmer hoch und nahm Amalja an, die Andreas ihr entgegenhielt. Dann stiegen sie in das Flugzeug, ließen sich auf die Sitze fallen und
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