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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fettigen schwarzen Ölgeiser gestanden, der aus dem Bohrloch zum erstenmal heraussprudelte … seine Entdeckung, eine neue Ölquelle im Herzen Sibiriens. Neuer Reichtum für Mütterchen Rußland.
    Putkin sah sich um. Sein Blick war jetzt klar geworden, der Schock, oder was es gewesen war, das ihn unbeweglich und blind gemacht hatte, fiel von ihm ab wie Sandkörner, die man wegklopft.
    Er stand auf einer Lichtung, einem sogenannten Windbruch, umgeben von den turmhohen Lärchen, Birken und Kiefern der Taiga. Sein Anzug war an vielen Stellen zerrissen, ein Schuh fehlte (das erklärte auch, warum es am linken Fuß kitzelte, wenn er auftrat), aber das war nicht das Schlimmste. Vor ihm lag, zerplatzt und über die ganze Lichtung verstreut, das Flugzeug, als sei es ein Käfer gewesen, den der Schuh eines Riesen zertreten hatte. Makar Lukanowitsch Benerian, der Pilot, saß an einen der vom Sturm geknickten Baumstämme gelehnt, den Kopf auf der Brust und noch immer ohne Besinnung. Der deutsche Ingenieur Andreas Herr hockte auf einem anderen Baumstamm, und die Ärztin Jekaterina Alexandrowna Susskaja tastete ihn ab, von oben bis unten, und suchte anscheinend einen Bruch. Sie tat es gründlich, und in jeder anderen Situation hätte Putkin dieses Abtasten als eine verflucht erotische Handlung klassifiziert. Professor Semjon Pawlowitsch Morotzkij war schon verbunden … ein dicker Verband umschlang seinen schmalen, asketischen, ja schon fast unästhetischen Totenkopfschädel. Die Brille in diesem Hungergesicht wirkte jetzt noch clownhafter als sonst … sie balancierte auf dem langen Nasenrücken wie ein Seiltänzer auf dem Drahtseil. Man war versucht, zu rufen: »Paß auf, Semjon Pawlowitsch, beweg dich nicht ruckartig … die Brille fällt! «
    Putkin zog die heiße Sommerluft keuchend in die Lungen und spreizte die Finger. Sie klebten aneinander, und als er sie ansah, waren sie mit geronnenem Blut überkrustet. Er machte wieder ein paar tappende Schritte in Richtung auf die Ärztin Susskaja und starrte auf die weit verstreuten Trümmer des Flugzeuges und der Ladung, die beim Aufprall herausgeschleudert worden war.
    Wo ist die Lehrerin, dachte Putkin. Sie saß neben mir. Ein zartes Vögelchen, zerbrechlich wie Chinaporzellan. Wenn sie einen ansah mit ihren großen kullernden Kinderaugen, juckte es einem immer in den Fingern, und man mußte sich bezwingen, sie nicht sofort zu streicheln. Himmel, wo war sie?
    Putkin drehte sich. Nadeshna Iwanowna Abramowa war hinter ihm. Sie kniete vor einem großen, verdorrten Ast, der aussah wie ein Kreuz, und betete. Tatsächlich, sie kniete da und betete, eine aufgeklärte, sozialistische Lehrerin. Ganz versunken war sie in dem Blödsinn. Durch Putkin fuhr ein eisiger Schreck, er drehte sich, so schnell es seine geprellten Muskeln zuließen, nach der Ärztin Susskaja und hob beide Arme.
    »He!« schrie er. Nanu, was habe ich für eine Stimme, dachte er erschrocken. Sie klingt, als wenn man auf einen rostigen Blechtopf schlägt. »He! Jekaterina Alexandrowna! Ihr Patient aus Deutschland hat den Kopf noch auf den Schultern. Wenden Sie sich mal anderen zu, die es nötiger haben!«
    »Sie sind gesund!« schrie die Susskaja zurück und beendete das Abtasten. Andreas Herr zog sein Hemd wieder an, griff dann nach einem nassen Tuch, das neben ihm auf dem Baumstamm gelegen hatte, und klatschte es sich in den Nacken. »Ich habe Sie als ersten untersucht, Igor Fillipowitsch. Sie lagen genau neben mir, als ich aufwachte. Einen Schädel haben Sie wie ein Eisentopf und Knochen wie ein Mammut!«
    »Sehen Sie die Lehrerin an!« Putkin zeigte nach hinten.
    »Sie hat's auch gut überstanden.«
    »Ihr Gehirn ist durchgeschüttelt! Sehen Sie doch! Sie betet!«
    »Warum nicht, Genosse?« Jekaterina Alexandrowna kam näher. Sie sah trotz ihrer zerfetzten Kleidung, dem mit Öl verschmierten Gesicht und den blutverkrusteten Beinen herrlich aus. So etwas bringt nur Rußland hervor, dachte Putkin völlig sinnlos in dieser Situation. Das ist die sichtbare Verschmelzung Europas mit Asien.
    »Warum nicht?« äffte er die Susskaja nach. »Jawohl, warum wohl nicht? Ist Lehrerin, lehrt die Kinder die marxistische Welt … und betet! Sie ist verrückt geworden!«
    »Sie haben niemanden, dem Sie danken können, daß Sie noch leben?«
    Putkin wurde unsicher. Er schielte die Susskaja mit gesenkten Augen an und versuchte, seine blutverkrusteten Hände an der Hose abzuwischen. Morotzkij, der Professor, kam nun auch näher, er
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