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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte
Autoren: Nina Blazon
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da noch Seidenglanz und das Knistern von Stoff.
    Vor Tobbs stand eine hochgewachsene Dame in stolzer Haltung. Auf dem Seidengewand der Frau jagten sich eingewebte Füchse und im Haar trug sie festlichen Blumenschmuck. Ihre Augen waren sehr schräg und ihre Lippen schmal. Ihr launischer Schwung ähnelte dem, den Tobbs an guten Tagen im Spiegel in seinem eigenen Gesicht sah. Aber ihre Augen waren traurig.
    »Du bist Menandros wirklich ähnlich«, sagte sie. »Auch ihn hätte niemand davon abhalten können, durch die verbotene Tür zu gehen.«
    Beim Klang der vertrauten Stimme schnürte es Tobbs die Kehle zu. So viele Jahre lang hatte er fast jeden Abend darüber nachgedacht, was er zu seinen Eltern sagen würde, aber nun, da er seiner Mutter endlich gegenüberstand, war es, als hätte er nicht nur das Sprechen, sondern auch das Denken verlernt.
    »Ich habe mich zuerst in ihn verliebt«, sprach seine Mutter mit sanfter Stimme weiter. »Er ritt durch den Wald, ich folgte ihm. Es gefiel mir, dass er sich nicht fürchtete und sang. Er wirkte mutig und gleichzeitig liebenswert und aufmerksam. Er sah mich und lachte mir zu. Ich lief mit seinem Pferd um die Wette. Und als er den Wald verließ und ich ihm hinterherblickte, beschloss ich, dass er sich auch in mich verlieben sollte.«
    Tobbs schluckte. »Deshalb … bist du ein Mensch geworden?«, flüsterte er.
    »Ich habe nur Menschengestalt angenommen«, korrigierte sie ihn mit einem Lächeln. »Ja, obwohl mich alle davor warnten. Sie sagten, die Liebe sei nichts für Füchse, sie bringe nur Unglück. Aber ich war glücklich – selbst im Unglück. Schließlich hatte ich Menandros, wenn auch nur für kurze Zeit. Und ich habe dich.«
    Tobbs schwieg. Das beantwortete alle Fragen, die er jemals hatte stellen wollen.
    »Ich danke dir, dass du zu mir gekommen bist«, fuhr Yoko ernster fort. »Aber du bist zu früh nach Doman zurückgekehrt. An deinem fünfzehnten Geburtstag erwarte ich dich im Sanderholzhain. Dann wirst du dich entscheiden können, ob du ein richtiger Kitsune oder ein Mensch werden willst. Und wenn du zu uns Füchsen gehören willst – ganz und gar –, dann wird dir niemand mehr das Fell und die Magie der Verwandlung rauben können. Das war Inaris Geschenk.«
    Es klang wie ein Versprechen. Tobbs nickte nur stumm. Fünfzehn Jahre. Sandergiftholz, noch zu grün. Jetzt ergab auch der letzte Orakelspruch einen Sinn.
    »Aber die Kitsune?«, fragte er heiser. »Sie werden mich doch töten, oder? Selbst wenn ich ein Kitsune werde, bleibe ich doch trotzdem immer ein Halbfuchs. Und die Königin tötet jeden Halbfuchs.«
    »Dinge können sich ändern«, sagte seine Mutter. »Heute herrscht die Königin, morgen vielleicht schon ein anderer Fuchs. Wir werden sehen, Taiki.«
    Dinge ändern sich. Tobbs sah bei diesen Worten Prinz Tanuki vor sich und nickte. »Dinge müssen sich ändern«, sagte er leise.
    »Tobbs?« Von draußen drang Anguanas flüsternde Stimme herein. »Da sind Reiter in der Nähe. Und hier ist ein Fuchs, der … halt!«
    »Wir müssen gehen«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Moriko! In ihrer Fuchsgestalt war sie unter den Baum gehuscht und verwandelte sich blitzschnell in einen Menschen. Sie war völlig außer Atem.
    »Sieh mich nicht so feindselig an«, sagte sie und trat neben ihn. »Ja, ich diene der Königin. Und die Königin weiß nicht, dass Yoko, meine Tante, sich vor ihr verbergen muss. Ich stehe auf keiner Seite. Und gleichzeitig auf beiden. Los, du musst gehen!«
    Yoko machte zwei schnelle Schritte nach vorn. Bevor Tobbs so recht begriff, was geschah, fand er sich in ihrer Umarmung wieder. Sein Denken verhedderte sich, er war verwirrt, aufgewühlt und auf seltsame Weise auch erschrocken.
    »Taiki«, sagte Yoko mit derselben warmen Stimme, die Tobbs im magischen Wald gehört hatte. »Mein Taiki.«
    Tobbs schloss die Augen und war für einen schwebenden, geborgenen Moment nur ein sehr, sehr kleiner Fuchs.
    In seinen Armen löste die menschliche Gestalt seiner Mutter sich auf. Das Letzte, was er von ihr sah, war ihr orangerotes Fell, das wieder mit dem Nebelschatten verschmolz. Oder vielleicht lag es auch daran, dass alles vor seinen Augen verschwamm, weil er heulte wie ein Schlosshund.
    Moriko legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter. »Sei nicht traurig. Die Tanukis sind besiegt. Und deine Mutter siehst du bald wieder. Sei mal lieber froh, dass du den Rest deiner Verwandtschaft erst in zwei Jahren kennenlernst! Und jetzt bringe ich euch
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