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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte
Autoren: Nina Blazon
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Jahr sein und ein Jahr ein Tag. Hier verläuft die Zeit nicht immer so wie an anderen Orten. Erinnerst du dich noch an Muttke Pillepie?«
    Tobbs nickte eifrig. »Sie kam am Sonntag in die Taverne und war zwanzig Jahre alt – und am Montag kam sie wieder – und da war sie plötzlich eine alte Frau. Sie sagte, sie sei fünfzig Jahre nicht in der Taverne gewesen, und fragte mich, ob ich Tobbs’ Enkel sei.«
    »Siehst du, genau das meine ich.«
    »Aber Muttke kam durch eine der magischen Türen. Hier in unserem Land und in der Taverne ist immer dieselbe Zeit und …«
    »Hör mal, Schankjunge«, unterbrach ihn Dopoulos ungeduldig. »Geh doch mal raus und sieh nach, wie weit Wanja mit dem Gaul ist. Geburtstag ist Geburtstag und Hochzeit Hochzeit. Und jetzt kommt erst einmal die Hochzeit. Wir müssen anfangen, den Gastraum herzurichten. Tische rücken, Stühle aus dem Keller holen, Lampions aufhängen und so weiter. Na los, geh, geh, geh!« Er fuchtelte mit seiner riesigen Hand in der Luft herum. Ein Sahneklecks landete auf Tobbs’ Handrücken. Tobbs leckte ihn ab. Beißender Pfeffergeschmack trieb ihm die Tränen in die Augen.
    »Ach, und stell im Nebenraum das Warnschild für die Todesfeen auf«, fügte Dopoulos hinzu. »Sie sollten wissen, dass es heute Abend vielleicht knallen wird. Schließlich wollen wir nicht, dass am Montag die Leute tot von den Stühlen fallen, nur weil die Todesfeen in meiner Taverne am Sonntag aus dem Kreischen nicht mehr rausgekommen sind.«
    Tobbs schluckte seine Enttäuschung mit der Pfeffersahne hinunter, nickte und machte sich auf den Weg. Er musste sich beeilen, denn von der Konditorküche bis zum großen Wirtsraum war es eine ordentliche Strecke, genauer gesagt vier Gänge, drei schmale Flure und der erste kleine Wirtsraum, der meistens für den Stammtisch der Schicksalsfrauen reserviert war. Tobbs hatte sich schon oft gefragt, was sich der Erbauer des Wirtshauses wohl dabei gedacht hatte, mehr Gänge als Räume anzulegen. Und jedes Jahr schienen noch mehr Gänge dazuzukommen, aber Tobbs wusste natürlich, dass es eine Täuschung war. Tatsächlich wurden es nur mehr Türen – alleine zwanzig befanden sich im ersten Flur. Von innen sahen sie unscheinbar aus. Nur die Türglocken klangen unterschiedlich und verrieten, wer an der Tür war. Götter aus dem Land Yndalamor kündigten sich durch das Klingeln von Opferglöckchen an. Standen die Dämonen aus dem Olitai-Gebirge vor der Tür, erklang Donnergrollen. Für die Sylvanier hatte Dopoulos eine Klingel mit einem Fledermausschrei angebracht und für die Leute aus Wanjas Heimat Kasatschok-Musik. Es gab Abende, da hörte sich der Lärm im Gang an wie das ohrenbetäubende Konzert einer verrückten Band, begleitet von Heulen, Schreien, Kreischen und Wolfsgeheul. Doch die Bewohner der Länder vor den Türen konnten klingeln, so viel sie wollten – solange Dopoulos sie nicht in seine Taverne ließ, blieben sie, wo sie waren.
    Die Tür, durch die in wenigen Stunden die Dämonen des Olitai-Gebirges eintreten würden, befand sich am Ende des Flurs. Die Türzarge trug die Spuren von Feuer und Ruß. Tobbs schauderte, als er daran vorbeirannte. Eine Dämonenhochzeit! Noch nie hatte es so etwas in der Taverne gegeben. Tobbs stürmte in den nächsten Flur und durch den kleinen Wirtsraum, bis er endlich den Hintereingang der Taverne erreichte, der in den Hof führte. Als er das blonde Mädchen sah, das dort stand, war es bereits zu spät, noch umzukehren.
    »Hallo, Tobbs!«
    Tobbs blieb stehen und räusperte sich. »Guten Tag, Anguana. Ich hab’s eilig. Ich muss zu Wanja …«
    Er machte Anstalten, an ihr vorbeizueilen, doch Anguana trat wie beiläufig einen Schritt zur Seite und schnitt ihm den Weg ab. Jetzt erst bemerkte er, dass sie etwas in den Händen hielt, so behutsam, als würde sie im Käfig ihrer hohlen Hände einen Schmetterling bergen. Ihre Augen strahlten so hell wie blaue Eiskerzen.
    »Ich … wollte dir gratulieren«, flüsterte sie. »Du hast heute Geburtstag. Wanja hat es mir erzählt. Herzlichen Glückwunsch.« Tobbs seufzte und rang sich ein Lächeln ab.
    »Danke. Das ist … wirklich nett von dir. Und jetzt muss ich aber …«
    Er verstummte, als sie die Hände ausstreckte und einen Schritt auf ihn zutrat. Ihr langer blauer Rock schleifte über den Boden. Auch heute konnte Tobbs es sich nicht verkneifen, einen verstohlenen Blick auf den Saum zu werfen, über den Anguana so oft stolperte. Jeder in der Taverne wusste, was
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