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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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beruhigen. Ich versprach ihr, bald zurückzukommen. Ich brauchte einfach noch etwas Zeit.
    Als ich meine schwere grüne Tasche in den zweiten Stock schleppte, ging mir das Versprechen, das ich Marlena gegeben hatte, durch den Kopf. Ich liebte meinen Laden, ich liebte den Blick der Bräute, wenn ich ihnen die Papierrolle überreichte. Ich liebte die Dankeskarten, die jeden Tag mit der Post eintrafen. Wir hatten etwas aufgebaut, Marlena und ich. Bethany und Ray hatten bereits die Blumen für ihren ersten, fünften und zehnten Hochzeitstag bestellt. Bethany schrieb mir die Erfüllung zu, die sie in ihrer Partnerschaft gefunden hatte. Ich verdankte ihr den zunehmenden Erfolg meines Geschäfts. Ich würde sie nicht im Stich lassen, und Marlena auch nicht.
    Eines Tages würde es möglich sein, beides zu haben, ein Geschäft und eine Familie. Ich würde morgens nach San Francisco fahren und zum Abendessen wieder zu Hause sein, wie jede andere berufstätige Mutter. Ich würde Hazel bei Elizabeth abholen, sie in ihren Kindersitz setzen, zur Gärtnerei zurückkehren und mit ihr an dem langen Esstisch sitzen. Inzwischen hätte Grant das Abendessen gemacht, und wir würden Hazel das Essen klein schneiden, uns über den Tag unterhalten und über das Wachsen unserer Unternehmen, über unsere Tochter und unsere Liebe staunen. An freien Tagen würden wir mit Hazel ans Meer fahren, Grant würde sie auf seinen Schultern tragen, bis sie alt genug war, um zwischen uns in die Wellen zu laufen. Ihre Fußabdrücke im Sand würden von Monat zu Monat größer werden.
    Eines Tages würde ich zu alldem fähig sein.
    Aber ich war noch nicht so weit.
     
    In diesem Moment brauchte ich all meine Kraft und meine Aufmerksamkeit, um mich wieder in meine Familie hineinzufinden. Obwohl sie Angst hatte, verstand mich Marlena. Die Aufgabe, die vor mir lag, war enorm. Ich musste Grants Liebe annehmen und die von Elizabeth. Und ich musste mir die Liebe meiner Tocher verdienen. Ich durfte diese Menschen unter keinen Umständen noch einmal verlassen.
    Die Vorstellung erfüllte mich gleichermaßen stark mit Freude und Panik.
    Ich hatte schon einmal mit Grant zusammengelebt, und ich hatte versagt. Ich hatte mit Elizabeth gelebt; ich hatte mit Hazel
     gelebt. Jedes Mal war ich gescheitert.
    Dieses Mal sagte ich mir, während ich mich in Grants altem Schlafzimmer umschaute, würde es anders sein. Dieses Mal würde ich kleinere Schritte machen und würde unserer unkonventionellen Familie so begegnen, dass ich damit umgehen konnte. Nach meiner Stillerfahrung wusste ich, wie gefährlich es war, wenn ich mich voll und ganz auf eine Sache einließ und damit das absolute Scheitern riskierte.
    Deshalb hatte ich beschlossen, vorerst allein im Wasserturm zu leben. Hazel würde bei Elizabeth bleiben und uns immer häufiger und länger besuchen, bis meine Angst sich schließlich in Vertrauen gewandelt hatte. In meine Familie, aber vor allem in mich selbst. Dann würde ich zu Grant ins Haupthaus ziehen. Und wir würden Hazel daran gewöhnen, bei uns zu leben. Elizabeth wohnte nur einen guten Kilometer entfernt und würde uns unterstützen.
    Außerdem hatte Grant mir versprochen, dass ich mich stets in den Wasserturm würde zurückziehen können, wenn ich einen Moment der Einsamkeit nötig hatte.
    Mehr brauchte ich nicht, um zu bleiben.
    Ich öffnete meine Tasche und verstaute meine Sachen, meine Jeans, meine T-Shirts, meine Schuhe, in den Ecken des Raumes, meine Blusen und Gürtel hängte ich an eine Reihe von rostigen Nägeln an der Wand. Ich trat ans Fenster und sah zu, wie Elizabeth einen Kinderwagen zum Tor hereinschob, sich umdrehte und den Riegel wieder vorlegte. Hazels Lackschuhe lugten unter einem breiten Baldachin aus Leinwand hervor, der weit heruntergezogen war, damit ihr die Sonne nicht ins Gesicht schien.
    Ich nahm mein einziges Kleid aus der Reisetasche und schüttelte es aus. Rasch zog ich mich aus und schlüpfte hinein. Es war ein Hemdblusenkleid aus schwarzer Baumwolle mit einem schmalen Gürtel aus dem gleichen Stoff. Dann zog ich die dunkelroten Ballerinas an und legte die Kette an, die Elizabeth mir geschenkt hatte und an der Hazel so gerne zog.
     
    Ich strich mir mit den Fingern durchs kurze Haar und kehrte zum Fenster zurück. Elizabeth hatte die unterste Stufe der Veranda erreicht, drückte die Bremse des Kinderwagens herunter und klappte den Baldachin zurück. Hazel blinzelte in die Sonne. Sofort wanderte ihr Blick zum Wasserturm, und ich winkte
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