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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Abend förmlich in mein Haus einbrach.«
    Der Wohnwagen war verschwunden, Carlos auch.
    »Vor einem Jahr ist er nach Mexiko zurückgekehrt, als Perla aufs College ging«, klärte mich Elizabeth auf. »Seine Eltern sind alt und krank. Schließlich gelang es mir, mit meinem Schmerz zurechtzukommen. Und mit meinem Weinberg auch. Ich brauchte ihn nicht mehr.«
    Also hätte ich den Verlust meiner Tochter verkraftet, wenn ich länger ausgehalten hätte. Aber zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ich steckte meine Nase in Hazels lockige Haare und sog ihren süßen Geruch ein.
    »Die Trauben sind sicher bald so weit«, sagte ich.
    »Wahrscheinlich. Ich habe seit drei Tagen nicht danach gesehen. Es ist jetzt schwieriger.« Sie wies mit dem Kopf auf Hazel. »Aber es ist es wert.«
    »Soll ich dir helfen?«, fragte ich und wies in Richtung Weinberg.
    Elizabeth lächelte und nickte. »Ja, lass uns gehen.« Sie nahm ein feuchtes Spültuch vom Trockengestell und wischte damit Hazels Hände und Gesicht ab. Hazel verzog das Gesicht.
    Draußen stiegen wir in den roten Traktor. Zuerst Elizabeth und zum Schluss ich, nachdem ich die zappelnde Hazel hinaufgehoben hatte. Hazel saß auf Elizabeths Schoß und griff mit den Händen nach dem Lenkrad. Doch als der Motor ansprang, vergrub sie das Gesicht an Elizabeths Brust und presste ein Ohr in ihre Achselhöhle, um das Geräusch zu dämpfen. Wir holperten die Straße entlang, vorbei an der Stelle, wo der Wohnwagen gestanden hatte, bis zu dem Hügel, auf dem ich im Jahr des Feuers auf die reife Traube gestoßen war. Elizabeth stellte den Motor ab.
    Es war still im Weinberg. Hazel machte sich von Elizabeth los und schaute über die Reben hinweg zum Haus. Ihr schläfriger Blick wanderte das Dach entlang zu den Fenstern im oberen Stockwerk. Als sie sich zu mir umdrehte, schreckte sie zusammen, als hätte sie vergessen, dass ich da war. Dann lächelte sie, ein langsames, scheues, strahlendes Lächeln. Mit einem Freudenschrei streckte sie die Hände nach mir aus. Das schrille Geräusch ließ einen Haarriss in der Hülle entstehen, die mein Herz umschloss, so fein, als wäre ein zartes Kristallglas zerbrochen.
    Ich zog sie an mich. Wir kletterten vom Traktor und kauerten uns zwischen die Reben. Hazel hielt das Gesicht in die Trauben. Ich tat es ihr nach, pflückte eine, zerteilte sie mit den Zähnen und gab ihr eine Hälfte. Sie kannte sich bereits aus. Gemeinsam kauten wir die Schale und ließen das weiche Fruchtfleisch im Mund zergehen.
    Ich lächelte. 75/7. Die Trauben waren reif.

7.
    I ch stellte meine blaue Box ins Bücherregal. Grant hatte neben seiner orangefarbenen Platz gemacht, so dass die mit Stoff bezogenen Boxen ordentlich zwischen ein Botanikbuch und einen Gedichtband passten, genau dorthin, wo sie während unseres Zusammenlebens im Wasserturm vor einem Jahr gestanden hatten.
    Es war Thanksgiving. Den ganzen Vormittag hatte ich Grant geholfen, Gemüse zu zerkleinern, Kartoffeln zu reiben und Rosen für die Tischdekoration zu schneiden. Jeden Moment würde Elizabeth kommen, mit Hazel. Grant wollte, dass alles perfekt war. Als ich die Küche verließ, lief er unruhig vor dem Ofen hin und her und überprüfte die Temperatur so oft, dass die meiste heiße Luft aus dem Backrohr entwich. Der Truthahn würde nicht vor dem späten Abend fertig sein, aber das störte mich nicht. Ich hatte keine Eile.
    Ich hatte den Weinberg nur zweimal verlassen, seit ich zusammen mit meiner Tochter die Trauben gekostet hatte. Das eine Mal hatte ich Marlena bei der Arbeit für eine Hochzeit mit fünfhundert Gästen – unsere bisher größte – geholfen; das zweite Mal genau vor einem Tag, um meine Sachen zusammenzupacken. Nachdem ich die Wohnung geräumt hatte, war ich zum Gathering House gefahren und hatte kostenloses Wohnen für die Arbeit als Assistentin einer Floristin angeboten. Zwei Mädchen meldeten sich, und ich engagierte sie vom Fleck weg und führte sie zum Apartment. Marlena hatte dort nervös auf uns gewartet, und ich beobachtete, wie sie die Mädchen herumführte und mit ihnen den Terminkalender besprach. Sie hörten aufmerksam zu, während Marlena ihnen die Aufgaben beschrieb, für die sie nun verantwortlich waren. Als ich mich mit der Gewissheit, dass ich künftig nicht mehr gebraucht werden würde, zum Gehen wandte, zog mich Marlena zur Seite. Verzweiflung stand in ihren Augen.
Aber sie kennen die Blumen nicht,
flüsterte sie.
So wie du damals,
entgegnete ich, aber das schien sie nicht zu
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