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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift
Autoren: Anselma Heine
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gedient.«
    Sie wischte sorgfältig an einem Glase, das ein wenig blind schien.
    Auf dem Tisch bemerkte Françoise eine anmutige Schale mit sonderbar hellroten Rosen. Das Geschenk der Elsässerin.
    Auf der Veranda, die sie jetzt betraten, saß Hanna, die Feder in der Hand, vor einem Briefbogen in offiziellem Reichsformat, der bereits halb beschrieben war. »Meine Nichte spielt manchmal meinen Sekretär,« sagte Hummel und strich dem jungen Mädchen freundlich über das Haar.
    »Wir haben Sie gestört, Herr Geheimrat?«
    »Ein Brief an das Kultusministerium. Ich ziehe meine Abdankung zurück. Gern freilich wäre ich nach meinem siebzigsten Geburtstage nach Jena in mein altes Elternhaus gezogen und hätte dort meine Tage, so viele es noch werden wollen, mit eigenen wissenschaftlichen Arbeiten verbracht. Jetzt aber muß man abwarten, ob die Allgemeinheit einen nicht noch braucht. Wird Krieg, muß man ungeheure Mengen von meinem Serum ins Feld schicken. Ich bitte den Minister um Vollmachten, mein Mittel in großem Maßstabe herstellen zu lassen. Das gibt genug zu tun für einen alten Mann.«
    Es klang frisch zugleich und ernst. Er blickte durch seine Brillengläser gerade vor sich hin, schien niemanden zu sehen und dennoch tief hineinzuschauen in alle.
    Die Frau Hauptmann hatte inzwischen Wein und Kuchen in der Laube hinter dem Rosenbogen aufstellen lassen. Und die Füeßli gingen dorthin. Der Geheimrat müsse durchaus erst sein Schreiben beenden, sagten sie, ehe er sich ihnen widme. Auf dem Wege nach der Laube blieben sie einen Augenblick stehen, Dora anzusehen, die eben unter dem Rosenbogen auftauchte, einen großen Korb mit abgeschnittenen Blumen in der Hand, die sie zum Tafelschmuck verwenden wollte. Man begrüßte sich. Das junge Mädchen blieb einen Augenblick mit emporgereckten Armen unterm Blütenbogen stehen, nach den Hängerosen zu greifen, von denen sie freilich wußte, daß sie ihr zu hoch seien. Pierre trat hinzu und half ihr. Bacchantisch faßte sie die von ihr niedergebogenen Rosenzweige und drückte sie an ihr farbiges Haar. »Ein Rausch, ein Rausch diese Tage,« sagte sie zu Pierre, dessen festes Alter ihr gefiel. »Ist es nicht ein Rausch? Ich möchte mich hineinstürzen in die Gefahr, mir Hosen anziehen, den Tornister auf den Rücken nehmen und Mann spielen!«
    »Sieh da, eine Patriotin,« sagte Pierre amüsiert. Françoise machte ein abweisendes Gesicht. Dieses genießerisch in das Verhängnis hineinjubelnde junge Ding war ihr nicht lieb in diesem Augenblicke, da sie litt.
    »Mein Patriotismus ist noch sehr neu,« sagte Dora zu Pierre. »Ich habe mich eigentlich bis jetzt mehr Elsässerin gefühlt.«
    »Und wer weiß, wenn Sie diese Tage in Moskau oder Paris erlebten, würden Sie vielleicht glühende Russin oder Französin sein!«
    Sie lachte.
    Man setzte sich in die Laube. Das Gespräch wurde mühsam. Man bemerkte, daß man sich nicht kannte und in ganz verschiedenen Gefühlszonen lebte. Pierre sagte in seiner freien süddeutschen Art, die immer herzlich klang, ein paar Galanterien an Dora. Dann kam Hummel mit Hanna. Man stieß auf des Geheimrats Wohl an, aber der Trinkspruch, den Füeßli formen wollte, würde von Hummel verscheucht, der fast befehlend sagte: »Heute gibt es keinen Einzelnen.«
    Françoise betrachtete Hanna mit Anteil. Sie war ihr als ein reizloses und unliebenswürdiges Kind im Gedächtnis. Jetzt sah sie in ein herb gesammeltes Gesicht, in dem ein Kummer lag, der zitternd war und fragend. Ihr ewig horchendes Mutterherz argwöhnte einen Zusammenhang mit Martin. Er hatte ihr fast nur von Dora gesprochen, aber sein Schweigen über Hanna war ihr beredter erschienen.
    Indessen war zwischen den Männern ein Kriegsgesprach in Gang gekommen, dessen beherrschte Gelassenheit Françoise beben machte vor Leidenschaft.
    »Wir müssen mit ungeheuren Menschenopfern rechnen,« sagte jetzt Füeßli.
    Françoises Gesicht rötete sich beängstigend. »Und das hören wir ruhig an, wir Frauen? Warum dulden wir das, warum tun wir uns nicht zusammen, die Frauen aller Nationen zusammen, zerren den Männern die Waffen aus den Händen, lassen sie nicht ziehen? Uns gehören sie. Aus unseren Schmerzen sind sie entstanden!«
    Pierre war hinter ihren Stuhl getreten, Hummel sah sie überrascht an, sie merkte es nicht. »Euch jungen Mädchen gehören sie,« fuhr sie fort, die Hände hebend in selbstvergessener Gebärde, »euch hätten sie geliebt, euch hatten sie zu Frauenund Müttern gemacht. Aber wir sind ja
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