Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
heiß zu Martin hinauf.
    Er schüttelte die Locken. Sie wartete, aber er setzte nichts hinzu.
    Drinnen entwickelte Blanc einen großen Eifer, machte sich mit Vorschlägen und Kritisieren wichtig und riß Françoise, die zuerst das Vorgelegte betrachtet hatte, in Eifer hinein. Sie entdeckte ein über Erwarten passendes altes Rähmchen, in dem ein übles französisches Bild steckte, und entschied sich ohne weiteres dafür. Der Mann nannte einen unerhört hohen Preis. Albert, von Natur sparsam und nur in Gedanken zu allem Schönen schweifend, war ganz erschrocken, wollte vermitteln; Françoise aber, die schwarzen Augen feurig emporgewendet, ein wundervolles Lächeln auf den Lippen, meinte, man müsse auch einmal verschwenden dürfen, wenn es einer Jugenderinnerung gälte.
    Martin betrachtete sie forschend.
    »Ich achte jede Pietät,« sagte Albert. »Aber da Sie selber Thurwiller in diesem Zustand gekannt haben, kann man kaum noch von Erinnerung sprechen.«
    »Vielleicht habe ich es dennoch damals gekannt.«
    Albert, von seiner Frau durch Klopfen an das Schaufenster gemahnt, küßte ihr den Handschuh. »Man muß Ihnen auch das glauben, Madame Füeßli. Sie sind die ewige Jugend!«
    »In der Heimat, in der Heimat, da gibt's ein Wiedersehn,« sangen sie draußen.
    Martin hatte aufgehört zu denken. Ihm war, als sei er weit, weit fortgegangen von allem Gewohnten, in eine fremde Welt hinein, in der er sich nicht zurechtfand.
    »Ah, le voilà .« Monsieur Henri trat eilig zur Tür herein. »Ich sah Sie von draußen.« Der junge Mann sah aufgeregt aus. Seine Stimme schwang wie zu Liedern. »Ich war beiIhnen, Füeßli. Ich wollte Sie bitten, an meiner Stelle die Ansprache an den Geheimrat Hummel zu halten. Sie können ja reden. Damals im Café Broglie haben Sie uns alle erstaunt. Nun wohl. Sie können auch mein Manuskript haben, wenn Sie das wollen. Ich? Nein, ich kann nicht bleiben, ich muß fort.«
    »Mit ins Feld?«
    »Hoffentlich!«
    Martin sah ihn überrascht an, wollte etwas fragen, brachte aber nur einen lauten Seufzer hervor.
    Monsieur Henri atmete tief. »Was heute hier um einen herum vorgeht, das reißt mit. Das ist denn doch etwas anderes als Kaisers Geburtstag und Festessen. Die Uniform bekommt heute zum erstenmal einen Sinn für mich.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß Sie sich mit einem Male als Deutscher fühlen?« Martin versuchte skeptisch auszusehen, aber seine Stimme zitterte verräterisch. »Gibt es das? Kann man das? Und Frankreich, das wir alle so geliebt haben!«
    Monsieur Henri errötete. Er senkte den Kopf wie um nachzudenken. Dann sagte er: »Ich glaube, es ist so: Frankreich war für uns die Erlaubnis zur Sehnsucht. Verwirklichte es sich jetzt für uns, wären wir beraubt. Und dann – man hat sie nicht ungestraft ein Jahr lang getragen, die deutsche Uniform! Sie klebt einem immer noch ein wenig an, selbst wenn man sie verleugnet. Und jedenfalls hat sie einen verdorben zum Franzosen.«
    Es klang sonderbar, daß er das alles auf französisch sagte.
    Martin legte plötzlich die Hand auf den Arm des Kommilitonen. Er hatte das Gefühl, er müsse eine Verbindung herstellen zwischen dessen Herzen, das überfloß, und dem seinen, das sich nutzlos hin und her bewegte.
    In diesem Augenblicke trat Pierre ein. Die Blancs hatten ihn auf der Straße getroffen und ihm berichtet, wo die Seinen zu finden wären. Der Fabrikant sah sehr ernst aus. Françoise ging ihm entgegen. »Und was sagst du dazu?«
    Er nahm ihre Hände. »Straßburg ist mir ganz neu, ein Marschieren und Singen überall. Und alle diese leuchtendenAugen, wie ein Nüchterner steht man da unter lauter herrlich Berauschten!«
    »Fühlst du das so?« Sie sah ihn besorgt an.
    »Nicht ganz. Denn wenn ich sincère bin, da drinnen« – er legte die Hand auf die Brust, »da drinnen regt sich's gradso närrisch. Mitgehen möcht' man fast.«
    »Und das wünschst du dir? Du, Pierre?« Ihre Stimme zitterte angstvoll, und doch klang Stolz auf ihn hindurch.
    »Monsieur würde es schwer finden, glaube ich,« sagte der Geschäftsinhaber, der mit dem gerahmten Bilde herbeikam. »Da ist die berühmte preußische Disziplin und die preußischen Leutnants, vous savez .«
    »Sie haben recht, Monsieur. Und dennoch – uns Elsässern ist doch wohl noch etwas von der mittelalterlichen Lehnstreue in den Gliedern sitzengeblieben. Das zuckt auf, wenn der Landesherr in Not gerät. Warum siehst du mich so an, Françoise?«
    »Alles das war schon einmal,« sagte sie sinnend,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher