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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift
Autoren: Anselma Heine
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alle feige. Unser Blut ist es, das sie vergießen wollen, das Blut unseres Leibes und unserer Herzen. Wir aber schweigen.«
    »Und lieben sie dafür,« sagte Hanna leise. Aber Françoise hatte es doch gehört. Es heilte ihren Sturm und machte sie dankbar. Sie nahm Hannas Hand und hielt sie in der ihren. Dora ließ ihre roten Lippen zwischen den Zähnen vorschnellen. Sie sah unzufrieden aus.
    In das Schweigen hinein, das nun folgte, kam Frau Hauptmann Hummel den Geheimrat holen. Die Deputation der Studenten sei bereits vor der Gartentür.
    Im Salon, der durch die breiten Kronen der nahen Straßenbäume ohnedies verdunkelt war, schloß Dora die Vorhänge und machte Licht. »Es ist feierlicher.« So gab es ein buntes, fast theaterhaftes Blinken, als die Abgeordneten der Korps in ihrem »Wichs« hereintraten. Hutfedern, Stulphandschuhe und farbige Pekeschen glänzten, die Schläger klirrten. Auch die nichtfarbentragenden Studenten bekamen goldene Strahlen auf ihre weiße Hemdbrust und die jungen, frisch emporgerichteten Gesichter. Es war hübsch, als alle diese lebendige Jugend mit achtungsvollem Neigen vor dem weißhaarigen Gelehrten stand und ihn grüßte.
    Françoise hatte im Vorzimmer gezögert. Sie wollte ihre Nerven erst beruhigen. Inzwischen lief sie mit den Augen durch die Reihe der Studenten, die da standen. Martin war nicht darunter. Wo blieb er nur? Hatte er denn nicht sogar die Ansprache halten wollen?
    Und jetzt, militärisch taktfesten Schrittes tritt einer vor, schlank und federnd, den silbernen Pokal, der überreicht werden sollte, hoch in der Hand. Es ist, als trete die Jugend selber in das Zimmer. Er steht nun gerade unter dem Kronleuchter, sein soldatisch kurz geschnittenes Haar schimmert wie brauner Goldsamt, das Gesicht im Schatten, ihr in jeder Bewegung vertraut und doch ganz fremd in seinem Umriß, dem die Einrahmung der Locken fehlt. Seine Stimme zittert ein wenig, als er anfängt zu reden. Es ist Martins Stimme.
    Françoise lehnt sich an die Nische der Tür, in der sie steht. Es ist also geschehen! Martin Füeßli hat sich zum deutschen Soldaten gemacht. Sie sucht Pierres Blick, den sie besorgt über sich hingehen fühlt. Da drüben war er. Auch er hatte verstanden. Mit einer Anstrengung, die ihr die Empfindung plötzlichen Alterns gab, richtete sie sich hoch. Sie lächelte ihm zu. Sie sah auf Martins leuchtende Gestalt und trat mit tapfer verhehlten Schmerzen hinter das große Erlebnis des Sohnes zurück.
    Nach einer Weile erst vermochte sie zu hören, was er dem Geheimrat entgegenredete. Es waren Monsieur Henris feine, klug gestellte Worte, aus dem Manuskript gelesen, das Martin verstohlen im Zylinder vor sich hinhielt. Von des verehrten Lehrers Verdiensten um die Wissenschaft war die Rede, von der Freude der Studenten, daß er die Universität nicht verlasse, sondern ihnen dort erhalten bleibe. Denn nicht nur Wissenschaft habe er gelehrt, hieß es, sondern gelehrt auch was Deutsch ist. Nämlich nach dem Worte von Lagarde: »Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun.« »Und darum – –« Und den Geburtstag selber hätten sie nicht abwarten können, weil – –
    Im Begriff, den Pokal zu überreichen, flog ihm das Konzeptblatt zu Boden. Er neigte sich unwillkürlich ein wenig, es aufzuheben, lachte dann sorglos auf, warf den Kopf zurück und schickte dem verstummten Manuskript eine kleine Fußbewegung der Verachtung nach.
    »Nein, wir können nicht warten,« sagte er mit völlig veränderter Stimme.
    Alle schauten auf, weil es klang wie Fanfarenton. »Eine Botschaft ist hineingedröhnt ins Land, die ruft zu den Fahnen. Alles, was stark ist und gerade. Auch hier im Elsaß. Das ist über uns gekommen wie ein großer Wind, der die Leute auseinander bläst und zueinander, jeden wo er hingehört. Und wer eine Maske getragen hat, dem ist sie abgefallen; der Wind hat ihn hinübergeblasen über die Grenze in sein Land. Wer aber bislang nicht recht gewußt hat, wer er ist, der erfährt esheute. Ich, ich habe es erfahren. In Deutschland bin ich daheim. Deutschland muß leben und sollt' ich selber darum sterben!« Seine Stimme jubelte und sang. Es war wie das Geschmetter von tausend Frühlingslerchen.
    »Amen,« sagte, eine Stimme, vor Erregung schnarrend. Es war Helmuts Stimme. Er stand hinter dem Geheimrat, schon in Uniform, eine sonderbar hellrote Rose an der Brust.
    An dem allgemeinen Schweigen, das folgte, erwachte Martin. Er errötete, sah sich ratlos um, neigte sich dann wortlos
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