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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift
Autoren: Anselma Heine
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Zur rechten Zeit wurde die Menge auseinandergeschoben durch eine Reihe Landwagen, die dicht bepackt durch die Straße fuhren. Eine spontane Scheidung der feindlichen Elemente erfolgte. Fester schlossen sich die Zusammengehörigen aneinander.
    Martin bemerkte, daß er mit seiner Mutter unter die Altdeutschen geraten war. Er wollte Françoise darauf aufmerksam machen, unterließ es aber.
    »Sie verproviantieren die Festung,« sagte ein bureaukratischer Herr zu ihm. »Bei uns geht alles am Schnürchen. Organisation! Ja, ja.«
    »Jetzt geht's also endlich los!« hörte er hinter sich jubeln, ein Halbwüchsiger mit unreinem Teint, »endlich einmal, es war höchste Zeit!«
    Ein paar deutsche Kollegen, die Martin kaum kannte, stießen ihn an, ihm mitzuteilen, sie gingen auch »mit«. Das Wort hatte einen religiösen Klang, wie sie es aussprachen.
    Auf dem Platze bewegte man sich freier. Ernst stand der bronzene General Kleber da auf seinem Postamente, der Elsässer, der in deutscher Tapferkeit und Treue seinem französischen Herrn die Schlachten gewann.
    »Da sind die Blancs,« sagte Françoise und ging ihnen entgegen.
    Madame Blanc hatte verweinte Augen, sie kamen vom Bahnhof. »Maurice ist fort,« sagte sie, »nach Paris.« Dann erst begrüßte sie die »chère cousine« . »Sie sind nicht mehr in Vichy? und wir dachten gerade daran. Sie dort zu besuchen. Nicht wahr, Jeannette? Die Kleine hat sich bereits eine reizende Toilette bestellt dafür.«
    Jeannette nickte. Sie kannte Françoise wenig und machte sich überdies nichts aus älteren Damen. Mit Martin indessen fing sie hurtig an zu plaudern. Man müsse vorerst reisen, abwarten und erst zurückkommen, wenn alles entschieden sei. Was er darüber denke? er als Mann? Würden die Franzosen wirklich gezwungen sein mitzutun, wenn Rußland gegen Deutschland vorrücke? Und ob sie durch die Vogesen kämen?
    Ein kleiner Schauer der Neugierde, den sie absichtlich verstärkte, schüttelte sie zierlich.
    Martin antwortete kaum. Das Wörtchen »Mann«, mit dem sie ihm hatte schmeicheln wollen, brannte ihn. Alle diese Worte und Gebärden ringsum verstörten ihn. Sich selbst fühlte er noch immer nicht. Seine Nerven warteten.
    Madame Blanc erzählte inzwischen ausführlich, wie schwer es gewesen sei, den Koffer nach der Bahn zu befördern. Alls Autos beschlagnahmt, alle Pferde. Endlich gelang es, einen Bretterwagen zu finden, der sie mitnahm. Der Straßburger Bahnhof war überfüllt. Sie mußte nach dem Kehler hinüberfahren. An der Brücke standen Wachen und untersuchten den Koffer. »Der arme Maurice hat Höllenqual gelitten. Man hielt ihn für einen Spion. Aber der eine der Brückenwächter war ein Schüler von Monsieur Blanc. Da ließ man ihn durch.«
    »Wie das schön ist,« sagte Albert salbungsvoll zu Françoise. »Wie das schön ist, einem Volke zuzusehen, das sich von einer einzigen mächtigen Empfindung ergriffen fühlt. Mag man sie übrigens teilen, diese Empfindung, oder nicht. Und der Deutsche ist dann plötzlich lebendig wie niemand. Die Erlösung von seiner eigenen Schwere steht ihm auf dem Gesicht. Ich kann das verstehen. Wir alle waren viel zu tief hineingeraten in eine frivole Sicherheit des Lebens. Nun tritt der Meister Tod heran und will uns erziehen. Alle müssen tanzen gehen, wenn er winkt.«
    Er lächelte, weil ihm poetisch schien und freisinnig, was er geäußert.
    »Ich finde es furchtbar,« sagte Françoise einfach. Aber der Ästhet fuhr fort: »Furchtbar, das ist wahr. Aber sehen Sie die Frauen an. Die Plumpsten auch sind schön geworden; alle kleinlichen Züge sind untergegangen; sie sehen kühn aus, fast bedeutend, und alle schreiten wie auf Wolken.«
    »Aber unser Maurice ist fort!« jammerte Frau Blanc.
    Der majestätische Albert legte ihr mahnend die große, weiße Hand auf den Arm. »Sehen Sie die beiden jungen Mädchen dort,« fing er dann wieder an. Aber zwei Herren in Strohhüten, Deutsche, denen die Französisch redende Gruppe da sichtlich ein Ärgernis war, zischten jetzt ungezogen hinüber: »Man spricht Deutsch im Elsaß!«
    Albert lächelte höflich. »O, ich glaubte, es würde Deutschland nicht schaden, wenn man sein Lob auch auf französisch verkündet. Ich habe mich geirrt. Verzeihen Sie.«
    Gerade standen sie vor dem Laden des Kunsthändlers. Martin machte darauf aufmerksam. Albert, der gern seinen Kunstgeschmack bewies, trat mit Françoise in das Geschäft ein. Die Damen verabschiedeten sich.
    »Fahren Sie mit uns?« fragte das Jeannettle
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