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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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Minute.«
    »Tatsächlich«, sagte ich.
    »Tatsächlich. Dank der zuverlässigen Frischölschmierung.«
    »Ah.«
    »Die Samurai war leicht, handlich und spritzig«, fuhr mein Vater fort. »Man nannte sie auch den Kleinen Ritter.« Er seufzte. »Ein Fahrgefühl, unwahrscheinlich! Kannst du dich noch an unsere Ausfahrten erinnern?«
    »Ja«, sagte ich. »Unvergesslich.«
    »Nicht wahr? Candy Red, das war die Farbe. Ein kräftiges, lebhaftes Rot. Doppelschleifenrahmen, Telegabel für die Führung des Vorderrades und Stahlrohrschwinge mit zwei Federbeinen zur Hinterradführung. Die Fahrerfußrasten waren hochklappbar. Weißt du noch?«
    »Ja«, sagte ich. »Weiß ich noch.«
    »Eine Legende, das Bike. Du verdankst ihm dein Leben, Sissi. Ohne die Samurai wäre ich deiner Mutter nie begegnet, und es gäbe dich nicht.«
    Meinen Vater hätte es wegen der Kawasaki Samurai und wegen meiner Mutter um ein Haar auch nicht mehr gegeben. Nachdem Olinda ihr Abitur gemacht hatte, fuhren ihre Eltern mit ihr nach Europa.
    »Ihr Vater, also dein Großvater, wollte sie ihren Wurzeln näher bringen«, sagte mein Vater. »Er war Italiener, aus Spoleto gebürtig, und ist nach Brasilien ausgewandert, kurz nachdem Mussolini erschossen worden war. Ein überzeugter Faschist, er hatte Angst vor den Amerikanern, und das zu Recht. Das habe ich anfangs natürlich nicht gewusst. Das und noch so einiges.«
    Spoleto war das erste Ziel der Reise, doch meine brasilianische Großmutter war von Italien im Allgemeinen und von Spoleto im Besonderen nicht sonderlich begeistert und wollte so schnell wie möglich nach Wien.
    »Olindas Mutter war eine ganz ordinäre Person und eine Hexe obendrein«, behauptete meine Großmutter, die Hexe, »man sah es auf den ersten Blick. Eine Aufsteigerin, die Tochter von Plantagenarbeitern. Kaffee. Sie war mindestens zwanzig Jahre jünger als ihr Mann, der aussah wie eine Erdkröte, dick und voller Warzen. Dass sie ihn seines Geldes wegen geheiratet hatte, war mir sofort klar, mich täuscht man nicht so leicht. Ordinär, aber arrogant, so wie es oft der Fall ist. Olinda hatte die Arroganz von ihr, und du hast sie von Olinda, das muss leider gesagt werden. Und überheblich und vulgär, wie sie war, wollte sie natürlich nach Wien und mit der Erdkröte in die Oper, ins Konzert, ins Theater, in die Kaffeehäuser, was weiß ich. Ich war ja noch nie in Wien. Wozu auch? Die Wiener sind unehrliche Menschen und schenken in ihren vielgerühmten Kaffeehäusern schlechten Wein aus. Außerdem hat der Steirer in seiner Heimat alles, was er braucht.«
    Meine Mutter und ihre Eltern fuhren also mit einem Mietauto von Italien nach Norden und über Venedig und Ljubljana in Richtung Wien. Kurz nach Leibnitz blieben sie an einer Tankstelle stehen. Während ihr Vater volltankte, stieg Olinda kurz aus, um sich ein bisschen die Beine zu vertreten. Da sah sie das goldene Gefieder eines Fasans in einem Feld auf der anderen Seite aufglänzen und lief über die Straße. In diesem Augenblick kam mein Vater mit seiner Kawasaki A 1 Samurai aus Richtung Graz angefahren.
    »Das musst du dir vorstellen, Sissi«, erzählte er mir. »Ich fahre mit über hundert Sachen dahin, genieße die Geschwindigkeit, den Fahrtwind, und da rennt plötzlich etwas vor mir über die Straße, etwas Großes, Langes. Ich sehe nicht einmal genau, ob es ein Mensch oder ein Tier ist. Ich bremse wie verrückt, das Vorderrad bockt, ich verliere die Herrschaft über den Lenker, das Ding rutscht unter mir weg, und es katapultiert mich in ein Maisfeld. Ich liege also auf dem Bauch mitten im hohen Mais, im Dunkeln. Da höre ich ein Rascheln, dann eine Stimme, eine helle Stimme:
    Mister, Mister, are you all right?
    Ich versuche den Kopf zu drehen, es funktioniert, und ich begreife, dass ich mehr Glück als Verstand gehabt habe. Ich sehe einen Schatten über mir, eine lange, schmale Silhouette. Und habe mich augenblicklich in sie verliebt. In die Silhouette deiner Mutter.«
    Die Sichtweise meiner Großmutter war weniger sentimental.
    »Diese magere brasilianische Ziege hat ihm nichts als Unglück gebracht. Im Grunde wollte sie ihn umbringen, das hat sich gleich zu Anfang gezeigt. Und es ist ihr fast gelungen. Sieh ihn dir doch an! Ein Säufer, der zu nichts mehr taugt. Man ist wirklich geschlagen mit einem solchen Sohn.«
    »Was für eine Begegnung!«, sagte Emma. Du bist ein Kind der Liebe, so viel steht fest. Erzähl weiter.«
    »Ein andermal. Hast du Lust, am kommenden Samstag mit mir
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