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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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schaute nicht auf, als er an uns vorüberging. In den Feldern leuchteten gelb die Kürbisse. Bis zu ihrer Ernte würde es noch einige Wochen dauern.
    »Es ist schön hier«, sagte Emma. »Aber ich kann verstehen, dass du weggegangen bist.«
    Ich schlug den Weg in den Wald ein. An den Zweigen der Holundersträucher hingen schwarze Dolden. Ich zeigte auf eine Eberesche mit orangefarbenen, fast roten Beeren.
    »Mit dem Schnaps, den man daraus gewinnt, hat sich mein Vater gern betrunken«, sagte ich. »Vogelbeerschnaps. Am liebsten war es ihm, wenn ich mit ihm trank.«
    Wir gingen eine Weile den Bach entlang. Beim alten Wehr zweigten wir ab und betraten den schattigen Hohlweg, der zur Mühle hinunterführt. Gleich war es kühler. Wir kamen am Haus des Forstgehilfen vorüber. Niemand schien zu Hause zu sein, nichts rührte sich.
    »Hier möchte ich nicht leben. So tief im Graben, ohne Sonne«, sagte Emma. »Weißt du, wer hier wohnt?
    »Der Forstgehilfe mit seinem Bruder. Ich kenne sie nicht, aber meine Großmutter hat mir erzählt, dass sie meinen Vater gefunden haben.«
    »Du meinst, als er –
    »Ja, da war er schon tot.«
    Der Weg wurde schmaler, während es tiefer in den Graben ging. Ich schob ein paar Erlenzweige beiseite. Eine schwarzweiße Bachstelze trippelte am Rand des Rinnsals dahin, das früher der Mühlbach gewesen war. Ihr Schwanz wippte, sie zwitscherte leise. Als sie uns bemerkte, flog sie in einer langen Wellenbewegung auf.
    Emma umfasste sich mit den Armen.
    »Es ist kalt hier.«
    »Wir sind da«, sagte ich und nahm den großen eisernen Schlüssel für die Eingangstür aus meiner Handtasche. Neben mir verlief das baufällige, aus Holzbrettern bestehende Mühlgerinne, in dem kein Wasser floss. Es endete auf dem Rad, dem einige Sprossen fehlten. Die Mühle war seit Jahren nicht mehr in Betrieb. Ein kleines Gebäude aus verwittertem Holz, an dessen Rückseite Schnittholz aufgeschichtet war. Damit hatte mein Vater wahrscheinlich geheizt. Wir bogen um die Hausecke und standen vor dem Eingang. In einem Hackstock neben der Tür steckte eine Axt.
    Als ich den Schlüssel im großen Schlüsselloch drehte, merkte ich, dass die Tür offen war, und stieß sie auf.
    »Sie haben vergessen, die Tür zuzusperren«, sagte ich.
    Wir gingen ins Haus. Emma betrat die Stube zur Linken und fuhr zurück.
    »Hier ist jemand«, sagte sie.
    In einem Lehnstuhl, über den eine zerschlissene graubraune Decke geworfen war, saß der junge Mann mit dem Mondgesicht und den gepiercten Augenbrauen, der mir am Tag der Beerdigung begegnet war. Er hatte das violette T-Shirt mit dem auf dem Kopf stehenden roten Kreuz an und ein Buch in der Hand. Als er mich sah, grinste er und brachte mehrmals mit Anstrengung einen Laut hervor, der wie ein langgezogenes I klang. Vielleicht versuchte er meinen Namen zu sagen.
    »Was machst du hier? Wer hat dich eingelassen?«, fragte ich.
    Er deutete auf die Tür und sagte etwas.
    »Die Tür war offen?«, fragte ich. Er nickte.
    »Wer ist das?«, flüsterte Emma. »Frankensteins Butler? Und dieses umgedrehte Kreuz – ist das nicht ein satanistisches Symbol?«
    »Wie heißt du?«, fragte ich.
    »Oian«, sagte er.
    »Florian?«, riet Emma. Er nickte wieder. »Und wo wohnst du?«, fragte sie weiter. Er wandte sich um und deutete zu dem Fenster hin, das auf die Rückseite des Hauses hinausging.
    »Oon«, sagte er.
    »Oben? Im Haus da oben?«, fragte ich. Er nickte rasch. »Wo der Forstgehilfe wohnt?« Er lachte, nickte noch heftiger.
    »Uda«, sagte er und stieß sich mit dem Zeigefinger mehrmals in die Brust.
    »Sein Bruder bist du?«
    Wieder lachte er und nickte.
    »Du musst jetzt gehen«, sagte ich. »Wir haben hier viel zu tun.«
    Er blieb sitzen und schaute finster.
    »Du kannst ein andermal wiederkommen«, sagte ich.
    Er blickte auf.
    »Ida omen?«, sagte er.
    »Ja, ein andermal.«
    Er stand auf, legte das Buch auf die Sitzfläche des Lehnstuhls und ging langsam rückwärts zur Tür. Bevor er sich umdrehte und hinausging, lächelte er breit.
    »Ida omen«, wiederholte er.
    Emma ging zum Stuhl hin und nahm das Buch in die Hand.
    » Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten «, las sie. »Merkwürdiger Titel.«
    Wir übernachteten in der Mühle, in dem breiten, frisch bezogenen Bett in einem der beiden Zimmer im ersten Stock. Ich fragte mich, ob mein Vater in diesem Bett geschlafen hatte. Wir nahmen Kerzen mit hinauf, elektrisches Licht gab es nur im Erdgeschoß.
    Emma stellte sich ans Fenster und schaute
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