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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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seinem Vater Weihnachten gefeiert. Es war gar nicht so übel. Schließlich bin ich das Familienleben nicht gewohnt.«
    »Ich auch nicht.«
    »Bin ich froh, dass ich deine Stimme höre! Ich hatte Angst um dich. Ich hab von dir geträumt, nichts Gutes. Ich sah dich, in dieser unheimlichen Mühle, ganz in Schwarz gekleidet, mit ernstem, traurigem Blick. Eigentlich wollte ich dich schon früher anrufen, habe aber befürchtet, du könntest es als Kontrolle empfinden. Auch als unnötige Beunruhigung. Wir könnten uns morgen treffen.«
    Nach kurzem Überlegen beschloss ich, Emma die Wahrheit zu sagen. Es wunderte mich, dass sie nicht schon durch die Medien erfahren hatte, was vorgefallen war.
    »Ich bin nicht in Wien, Emma. Ich bin im Sausal.«
    Eine Pause.
    »Was! Du hast mir versprochen, nicht zu fahren!«
    »Ich weiß. Es tut mir leid. Aber es ging nicht anders.«
    Noch eine Pause. Ein Räuspern.
    »Na ja, ich verzeihe dir. Weil Weihnachten ist.«
    Sie würde also doch weiter mit mir sprechen. Ich hatte sie falsch eingeschätzt. So wie vieles in letzter Zeit.
    »Deine Besorgnis war nicht unberechtigt«, sagte ich. »Es hat sich einiges abgespielt in den letzten Tagen.«
    »Erzähl!«
    »Ich rufe dich zurück, von der Festnetznummer meiner Großmutter aus. Das ist bequemer.«
    Und ich erzählte.

14
    Wieder stand ich vor einem Grab. Fast drei Monate später, Mitte März. Diesmal nicht aus Anlass eines Begräbnisses, wenn das Grab auch noch frisch, der Erdhügel noch nicht bepflanzt war. Es war ein blanker Frühlingstag, Pfützen überall, es taute und tropfte. Ich weinte. Die Bäume waren kahl, auch die Weide, die neben Reginas Grab stand. Überall lagen noch die alten, braungrauen Blätter, auf denen man leicht ausglitt. Hie und da ein kleiner grüner Fleck. Aber auf den von Grabstätten freien Flächen und auf einigen Gräbern blühten schon Schneeglöckchen, Primeln, Krokusse, Buschwindröschen.
    Auf Wunsch ihrer Familie waren Reginas Überreste in Graz bestattet worden. Ich hatte nicht an der Beerdigung teilnehmen wollen, war nicht erpicht darauf gewesen, ihre Verwandten, sehr bürgerliche Leute, die ich kaum gekannt hatte, zu sehen, mit ihnen zu sprechen. Doch jetzt, zu Frühlingsanfang, hatte ich an einem Samstagmorgen ganz plötzlich beschlossen, nach Graz zu fahren und den Friedhof zu besuchen, auf dem sie beigesetzt worden war.
    Ich stand lange vor dem Grab und blinzelte in die neue Sonne, die noch schwach war, so wie ich selbst. Ich war froh über jeden ihrer Strahlen. Eine Rekonvaleszente. Eine Geläuterte? Ich dachte an die belustigte Frage, die Stefan mir gestellt hatte, als er mich, die ich nach dem Blitzunfall im Grab meines Vaters stand, zum ersten Mal nach langer Zeit wiedersah.
    »Auferstanden von den Toten?«
    So fühlte ich mich jetzt. Aber damals wusste ich noch nicht, dass man dazu erst zu ihnen hinabsteigen muss. Mir fiel auf, dass eine Frau, die in meiner Nähe mit einer Gießkanne hantierte, in meine Richtung schaute, und merkte, dass ich leise mit meiner alten Freundin sprach.
    Nach dem Besuch an Reginas Grab fuhr ich sofort zurück nach Wien. In mir war es ruhig. Es war eine angenehme Autofahrt, in der hellen gelben Märzsonne, durch eine sich erneuernde Landschaft. Kurz nach Hartberg legte ich eine CD meines Vaters ein. Chicago mit ihrem Bläsersatz, ihrer jazzigen Klangfarbe. Wake up sunshine / Let me feel your warm sunlight on me / Can’t have you hidin’ / Night was long and night was cold / But today we’re one day older … Ich schaute auf den Beifahrersitz. Ja, da saß er wieder, mein Vater, lachte mich an, sang, wippte vor und zurück im Rhythmus der Musik. Ich stimmte ein. You got to wake up girl / And face the day ahead. Gar nicht so schlecht, sein Achtundsechzigergeschmack. Er sah gut aus, jung, nicht älter als zwanzig, das lose weiße Hemd offen bis zum Brustbein, mit dichten dunklen, ihm bis auf die Schultern fallenden Haaren, einem Schnurrbart und einer John-Lennon-Brille. There’s no time to delay / We’ve got to live for today / I’ve got so much to give / There is so much to say. Ja.
    Diesmal blieb er neben mir, verließ mich erst, nachdem ich den Wagen in der Nähe meiner Wohnung in der Währinger Straße geparkt hatte. Ich ging zum Haustor. Aus dem kleinen, einfachen Gasthaus gegenüber trat ein Mann und kam auffallend langsam quer über die Straße auf mich zu, ohne auf den Verkehr zu achten, sodass der Fahrer der Straßenbahn in Richtung Gersthof, die gerade
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