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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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ist schwer.«
    Er setzte sich auf den Fußboden, ließ den Kopf hängen, schwieg eine Weile. Das Erzählen hatte ihn erschöpft. Wenn er verrückt war, so war ich es auch: Noch jetzt, kurz bevor er auch mich töten würde, hörte ich trotz meiner Angst mit Interesse zu, empfand eine Art Mitgefühl für ihn. Regina hatte uns beide auf die schlimmste Weise herabgesetzt und ausgenutzt. Er hob den Kopf und sprach weiter.
    »Was mich danach noch lange beunruhigt hat, war die Gewissheit, gleich nach unserer Ankunft einen Schatten gesehen zu haben. Die Konturen eines Mannes, der durch eines der straßenseitigen Fenster zu uns hereinschaute. Vielleicht waren es meine überreizten Nerven.« Er stand auf, ging wieder hin und her. »Auch wie ich die körperliche Stärke aufbringen konnte, die Leiche, die Eisenketten, den Sonnenschirmständer und die Buddha-Statue ins Auto zu schaffen, damit zum Teich zu fahren und alles die letzten Meter noch über den Waldboden bis zum Wasser zu schleppen, zu zerren, ist mir unbegreiflich. Die Leiche zu beschweren und schließlich zu versenken. Und dann noch mit der massiven Skulptur um den halben Teich herumzugehen, an einer anderen Stelle ins Wasser zu waten und sie fallen zu lassen. Manchmal tauchen Bilder auf. Im Wachen, im Traum. Die blutige Masse, die Reginas Kopf gewesen war. Ihre verklebten langen Haare. Die Spitzen der eleganten italienischen Schuhe, die aus dem Gras ragten. Die feinen Hände, auf dem Boden dahinschleifend. Der Buddha mit Reginas Blut auf den lächelnden Lippen. Die Worte Om Mani Padme Hum , durchtränkt von dem roten Saft. Ich muss lange für meine Arbeit gebraucht haben. Aber es war tiefe Nacht, und ich war mitten im Wald. Die Gefahr, dass mich jemand überraschte, war gering. Trotz des Terrors in mir wusste ich, dass ich mir Zeit lassen konnte. Panik und Klarsicht können nebeneinander bestehen. Was zu tun war, war eindeutig. Ich war ein Automat. Eine Maschine.«
    Stefan blieb stehen, strich sich mit den Händen langsam über das Gesicht. Er wirkte müde. Vieles von dem, was er mir erzählt hatte, war mir bereits bekannt gewesen, vieles hatte ich geahnt. Nun wusste ich alles.
    »Ich liebe dich, Sissi«, sagte er. »Das musst du mir glauben.«
    Er besann sich wieder auf den Benzinkanister, öffnete den Drehverschluss und begann, den Fußboden mit Benzin zu besprenkeln. Er ging sparsam mit der Flüssigkeit um.
    »Ich kann dir versichern, dass du nicht leiden wirst«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Man verliert rasch das Bewusstsein.« Er fuhr ruhig in seiner Tätigkeit fort, ging dazu über, die Zeitschriften und das Brennholz leicht mit dem Benzin anzufeuchten.
    Er hatte keine Ahnung. Inhalationstrauma. Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Atemnot, Müdigkeit, Erbrechen. Schließlich tiefe Bewusstlosigkeit und Kreislaufstillstand. So schnell erstickte man nicht an Rauchgasen. Und während man all diese Qualen aushalten musste, erlitt der Körper zudem schwere Brandverletzungen.
    Jetzt erst, als es zu spät war, versuchte ich zu schreien. Was aus meinem Mund kam, war ein langgezogenes, unartikuliertes, erstaunlich lautes Geräusch. Es klang, als hätte nicht ich es produziert, sondern jemand anderer.
    Stefan schob den Lehnstuhl etwas näher zum Ofen hin und öffnete die Feuertür. Ein Hitzeschwall traf mich.
    »Ich gehe jetzt ins Freie, Prinzessin. Ich werde im Schnee vor dem Haus stehen, durch die Fenster schauen und beobachten, ob alles so verläuft, wie ich es mir vorgestellt habe.«
    Er verstaute seine Utensilien in der schwarzen Tasche und zog den Reißverschluss zu, dann nahm er ein Holzstäbchen aus dem Weidenkorb und stieß ein Stückchen Glut auf dem Ofenrost an, sodass es auf den dünnen kleinen Flickenteppich fiel, der auf dem Fußboden lag. Ein Flämmchen züngelte hoch. Er griff nach der Tasche, ging rasch zur Tür, entriegelte und öffnete sie und verließ das Haus. Ich hörte, wie er die Tür von außen zusperrte. Noch ein Flämmchen. Ein drittes, höher. Eine Flamme. Ich hatte den Eindruck, Stimmen zu hören. Zwei Männerstimmen. Ein Schreien. Mein Schreien? Nein, es war der Schrei eines Mannes. Dann muss ich das Bewusstsein verloren haben.
    Irgendwann erlangte ich es wieder. In einem Bett. Meine Füße und Fußgelenke schmerzten, auch meine Waden. In meiner Ellenbeuge steckte ein Venenkatheter. Ich folgte dem transparenten Schlauch mit dem Blick. Er endete in einer Infusionsflasche aus Plastik, die an einem Ständer hing.
    »Heilige Maria,
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