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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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Mutter Gottes, das Kind hat die Augen aufgeschlagen! Ein Weihnachtswunder!« Es war die Stimme meiner Großmutter. Ich wandte den Kopf in die Richtung, aus der sie kam. Sie stand am Fußende des Bettes.
    »Unsinn! Es waren die achtundvierzig Medaillen der wundertätigen Madonna Immaculata Milagrosa, die du mir schließlich doch abgekauft hast.« Eine zweite Stimme. »Der minimale finanzielle Aufwand von fünf Euro hat sich gelohnt, ich habe es dir prophezeit.« Nach Inhalt und Klangfarbe musste es sich um das Organ der Witwe Dirnböck handeln.
    »Sie sieht recht munter aus.« Das war die Stimme von Onkel Rudolf. Ich bewegte den Kopf nach rechts. Er saß neben mir und schmunzelte, was ihm nur unvollkommen gelang, da er den linken Mundwinkel noch immer nicht hochziehen konnte.
    Ich schaute um mich. Ein Krankenzimmer. Mit nur einem Bett. Ein kleiner Raum. Er war gedrängt voll. Um mich herum standen und saßen elf Menschen: meine Großeltern, Tante Dagmar und Onkel Rudolf, Tante Beate und Onkel Hannes, Florian und Felix Temmel, meine Kusine Imelda, die Witwe Dirnböck und Hochwürden Wojcik. Alle lächelten mich an. Am breitesten lächelte Florian. Er trug das violette T-Shirt mit dem grellroten umgekehrten Kreuz darauf. Seine vier Brauenpiercings glitzerten.
    Am Heiligen Abend konnte ich aus dem Landeskrankenhaus Wagna entlassen werden. Ich hatte Brandwunden ersten Grades an den Füßen und am unteren Teil der Waden davongetragen, die bald verheilt sein würden.
    Inspektor Bierbaumer aus Graz hatte mir einen Krankenbesuch abgestattet, und ich hatte ihm mitgeteilt, was ich wusste. Nicht alles, aber das Wichtigste. Die Grazer Kriminalpolizei arbeitete rasch. Sie setzte sich sofort mit Reginas Zahnarzt in Wien in Verbindung, welcher bestätigte, ihr ein Implantat eingesetzt zu haben. Mithilfe mehrerer Zahnröntgen, die sich in seinen Aufzeichnungen fanden, konnte der Nachweis erbracht werden, dass es sich bei der Leiche zweifelsfrei um Regina König handelte. Auch der ärztliche Nachweis aus der Schweiz, die Operation von Reginas Schienbein betreffend, war eingetroffen, ein weiteres Beweisstück, das Stefan schwer belastete. Im Grunde war es nicht mehr erforderlich. Der Fuchsweiher wurde von neuem durchsucht, man fand die Buddha-Skulptur tatsächlich an einer anderen, seichteren Stelle des Teiches. Florian wurde auf freien Fuß gesetzt. Reginas Überreste zu besehen, blieb mir erspart.
    »Was ich gemacht habe? Ganz einfach. Ich habe die Axt aus dem Hackstock gezogen und ihm einen ordentlichen Hieb aufs Haupt versetzt«, sagte Felix Temmel und grinste. «Nicht mit der Schneide, mit der Rückseite. Obwohl er es verdient hätte – ich meine, dass man ihm den Schädel spaltet. Jedenfalls ist er umgefallen und hat sich nicht mehr gerührt.«
    »Und dann?«, fragte Tante Beate, die ihm gegenübersaß, beugte sich gespannt über den Tisch und riss die Augen auf.
    »Dann habe ich ihm den Schlüssel aus der Hand genommen und die Tür aufgesperrt. In der Stube hat schon alles gebrannt. Ich habe Sissi aus dem Sessel gehoben, bin mit ihr aus dem Haus gelaufen und habe sie in den Schnee gelegt. Neben den Doktor König.«
    »Neben den Doktor König«, hauchte Tante Dagmar. »Ergreifend. Trotz allem.«
    »Ich bitte dich, Dagmar, verschone uns mit deiner Rührseligkeit!«, sagte meine Großmutter, die Hexe.
    »Weiß wie Schnee, rot wie Blut … das arme Schneewittchen«, flüsterte meine Tante, ihrer Schwiegermutter zum Trotz, und sah mich voll Mitgefühl an.
    Alle, die mich im Krankenhaus besucht hatten, saßen nun beim Weihnachtsessen um den Tisch in der Stube im Haus meiner Großeltern. Gerade war eine Frittatensuppe aufgetragen worden. Florian schlürfte laut. Dass meine Großmutter beide Brüder Temmel eingeladen hatte, war lediglich damit zu erklären, dass sie sich aufgrund des Christfestes in ungewöhnlich friedfertiger Verfassung befand. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre eine solche Großherzigkeit kaum denkbar gewesen, auch wenn Felix Temmel mir das Leben gerettet hatte. Ich trug ihre weichen, flachen Hausschuhe aus grün-braun kariertem Stoff. Normale Schuhe konnte ich noch nicht anziehen.
    »Ein Glück, dass ich bemerkt habe, dass etwas nicht stimmt«, erzählte der Forstgehilfe weiter. »Ich bin von der Arbeit nach Hause gekommen und habe auf dem Weg Spuren von Stöckelschuhen entdeckt. Bei diesem Wetter zieht hier doch keine Frau Schuhe mit hohen Absätzen an! Man konnte sehen, dass sie ausgerutscht und ein paarmal
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