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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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in den Sausal zu fahren und die Mühle zu besichtigen?«, fragte ich.
    »Warum nicht?«
    »Ich mag das Land nicht«, sagte ich, während wir die Staubstraße zum Hof meiner Großeltern hinauffuhren. »Es langweilt mich. Man fühlt sich ständig überwacht. Die Bauern sind heimtückisch. Sie reden nicht viel und schauen einen scharf an. Im Grunde denken sie nur ans Geld.«
    »Und jetzt erbst du ein Haus hier«, sagte Emma und lachte. »Was wirst du damit machen?«
    »Weiß ich noch nicht. Verkaufen vielleicht. Aber wer will schon eine alte Mühle mitten im Wald?«
    Meine Großeltern saßen in der Stube. Ich erkannte meine Großmutter nicht sofort, denn sie trug die Perücke, die sie sich nach dem Blitzunglück zugelegt hatte. Offenbar hatte man sich bei der Bestellung geirrt, denn die Perücke war blond und die Frisur wie die von Doris Day. Meine Großmutter stand auf, kam mit ausgestreckten Armen in ihrer blauen Kleiderschürze auf uns zu und musterte Emma dabei ebenso misstrauisch wie unverhohlen.
    »Das ist also deine Bekannte aus Wien«, sagte sie mit einem gekünstelten Lächeln. Ich erschrak, denn meine Großmutter lächelte selten. »Willkommen im Sausal, Frau Emma!«
    Sie sprach sehr laut, und wenn man mit ihr redete, musste man ebenfalls die Stimme erheben. Seit dem Trommelfellriss hörte sie schlechter.
    Mein Großvater, der die steirische Ausgabe der Kleinen Zeitung las, schaute kurz auf und nickte uns zu.
    »Sie werden hungrig sein, Toni!«, rief er.
    Meine Großmutter setzte uns eine typische südsteirische Jause vor: Roggenbrot, Bauernbutter, geräucherte Rohwurst und Rohschinken, Leberwurst, einen Aufstrich aus gehacktem Räucherspeck mit viel Knoblauch, einen zweiten, vegetarischen, Essiggurken und scharfe Pfefferoni und dazu einen Krug Weißwein. Ziemlich schwer verdaulich, das meiste.
    »Iss ordentlich, Sissi« sagte meine Großmutter. »Du siehst aus wie ein Skelett. Nichts als Haut und Knochen.« Und, zu Emma gewandt: »Das Kind war immer spindeldürr, wissen Sie. So wie ihre Eltern. Guten Appetit, Frau Emma!«
    Das Kind, das im Mai vierunddreißig geworden war, begnügte sich mit etwas Brot und Liptauer. Emma dagegen hatte ich noch nie mit so großem Genuss essen und trinken sehen, nicht einmal, als ich mir mit dem ligurischen Fischeintopf solche Mühe gegeben hatte. Das enttäuschte mich ein bisschen.
    »Herrlich!«, sagte sie und bestrich noch eine Scheibe Brot fingerdick mit diesem unsäglichen Aufstrich aus fettem Speck. »Ich liebe bodenständige Kost!« Und nach einem schuldbewussten Seitenblick auf mich setzte sie hinzu: »Deine italienischen Spezialitäten natürlich auch. Man kann das nicht vergleichen.«
    »Übrigens haben wir in der Mühle schon aufgeräumt, deine Tanten und ich«, sagte meine Großmutter.
    »Das hätte ich ja selber machen können!«, rief ich. »Mit Emma!«
    »Du? Mit deinen zwei linken Händen? Und weshalb schreist du so?«, fragte meine Großmutter und zog ihre grauweißen, leicht zerzausten Augenbrauen hoch. »Wissen Sie, Frau Emma, das Kind hat sich von Anfang an ungeschickt angestellt, wahrscheinlich mit Absicht. Um sich vor der Arbeit zu drücken, genau wie ihre Mutter, die Ausländerin.« Sie drehte sich zu mir. »Die Räume waren in einem unvorstellbaren Zustand, Sissi. Und ein Gestank! Wir haben mindestens hundert leere Schnapsflaschen gefunden.« Und wieder zu Emma gewandt: »Eine Prüfung des Schicksals, ein solcher Sohn. Sissi hat Ihnen sicher von Caspar erzählt.« Sie wischte sich mit einem Zipfel der blauen Kleiderschürze über die Augen. »Schlimmer als die zehn Plagen Ägyptens. Gottlob erlegt einem der Allmächtige nie mehr auf, als man tragen kann.«
    Der Großvater schaute über seine Zeitung.
    »Jetzt hör aber auf, Toni!«, rief er.
    »Wenn es doch wahr ist«, sagte meine Großmutter.
    Später gingen wir zu Fuß zur Mühle. Die Großeltern hatten uns den Weg beschrieben. Es war ein klarer, warmer Tag im Frühherbst, an den Bäumen hingen die ersten Äpfel und Zwetschken. Im Obstgarten neben einem Haus waren zwischen den Stämmen Wäscheleinen gespannt, die weißen Betttücher blähten sich im leichten Wind. Eine Frau mit einem Kopftuch und einer Schüssel im Schoß saß auf den steinernen Eingangsstufen und säuberte Pilze. Sie sah uns nicht. Neben ihr stand ein großer Topf mit Geranien. Ein alter, gebeugt gehender Mann mit einem dicken Stock und einem dunkelblauen Arbeitskittel kam uns entgegen. Ein Schäferhund lief hinter ihm her. Der Mann
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