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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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Seiten grau geworden, aber er war noch so schlank wie vor zehn Jahren und wirkte jugendlich. Der Blick, das Lächeln, die Bewegungen waren dieselben. Er hatte mir immer gefallen.
    »Und was machen die Männer in deinem Leben?« Er lachte leise. »Oder die Frauen? Bei dir wusste man das nie so genau.«
    »Ich bin verliebt«, sagte ich. »Seit zwei Monaten.«
    »Frau oder Mann?«
    »Frau. – Und was treibst du? Hast du jemanden getroffen, seitdem Regina –«
    »Nein. Ab und zu eine kurze Sache, aber nichts Ernstes.«
    »Das verstehe ich. Mit Regina lässt sich kaum jemand vergleichen. Sie war –«
    Ich breitete die Arme aus, suchte nach einem Adjektiv.
    Er schaute mich an und nickte.
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte er. »Ja, das war sie.«

2
    Der zweite Fehler war es, das Erbe meines Vaters anzutreten.
    »Ich habe eine Mühle geerbt«, sagte ich zu Emma, nachdem ich vom Notariatstermin in der Südsteiermark zurückgekommen war.
    »Wie bitte?«, fragte sie und legte Messer und Gabel beiseite. Wir saßen beim Essen. Ich hatte Kalbszunge zubereitet, Lingua in salsa piccante, ein köstliches Gericht aus dem Aostatal. Dazu tranken wir einen Pinot Grigio aus dem Trentino. Die italienische Küche ist meine Spezialität, und ich behaupte, Emma nicht zuletzt mit meiner Kochkunst erobert zu haben.
    Dass ich einen Vater gehabt hatte und dass dieser gerade gestorben war, war ihr nun bekannt. Davon abgesehen, wusste sie aber noch immer nichts über mich und meine Familie. Ich beschloss, sie über ein paar Details in Kenntnis zu setzen.
    »Ja, die alte Mühle, in der er während der letzten paar Jahre gewohnt hat. Meine Großeltern haben sie ihm zu Lebzeiten übertragen. Eine Schenkung. Ich war nie dort, hatte kaum noch Kontakt zu ihm. Ab und zu hat er mich angerufen, immer mitten in der Nacht. Aber ich verstand wenig von dem, was er sagte – erstens, weil er jedes Mal betrunken war, und zweitens wegen der lauten Rockmusik im Hintergrund. Geweint hat er auch häufig.«
    »Geweint? Weshalb denn?«
    »Ach, vor allem wegen meiner Mutter.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Sie war seine große Liebe, und sie hat ihn verlassen. Mich übrigens auch.«
    »Wann?«
    »Als ich ein halbes Jahr alt war.«
    »Was!« Emma riss ihre schmalen, graublauen Augen mit diesen atemberaubenden jadegrünen Einsprengseln darin auf, so weit es ging. »Erzähl mir!«
    Also erzählte ich.
    Nachdem meine Mutter meinen Vater verlassen hatte und zurück nach Brasilien gegangen war, vernichtete er alle Fotos, auf denen sie zu sehen war. Und das waren nicht wenige, da er stolz auf ihre Schönheit gewesen war und sie oft fotografiert hatte.
    »Ich habe alle Bilder zerstört, alle!«, hatte er mir mit schwerem Zungenschlag am Telefon erzählt. »Ich habe sie in die Häckselmaschine geworfen, zusammen mit den Rüben.« Ein Schluchzen. »Ich habe sie zerhackt, Sissi, zerhackt, nichts ist übrig geblieben von Olinda!«
    Aber meine Großmutter hatte noch ein Hochzeitsfoto, das sie mir zeigte, als ich ein Kind war. Ich wollte es behalten, doch sie gab es mir nicht. Später habe ich es ihr gestohlen.
    »Das ist deine Mutter, die Ausländerin«, hatte sie gesagt. »Ein hübsches Lärvchen, aber hochnäsig. Du schlägst nach ihr, man merkt es schon. Kaum achtzehn, die verwöhnte Gans, als Caspar mit ihr daherkam, aber sie hat alle im Dorf von oben herab behandelt. Als ob sie etwas Besseres gewesen wäre als wir Weinbauern, nur weil ihr Vater Besitzer einer Schnapsfabrik war. Zuckerrohrschnaps. Zur Hochzeit haben sie ein paar Flaschen mitgebracht, ein fürchterlicher Fusel, kann ich dir sagen. Da lobe ich mir unseren Tresterbrand. Dein Vater war schwer betrunken von dem Zeug, schon vor der Trauung, eine Schande für die Familie. Beim Ringwechsel konnte er kaum stehen. Und wie sie angezogen waren, unfassbar! Eine peinliche Hochzeit. Hochnotpeinlich, die ganze Geschichte, von Anfang bis Ende. So etwas hat es nie im Dorf gegeben, vorher nicht und nachher auch nicht. Ich habe es Caspar niemals verziehen. Caspar, habe ich gesagt, du warst immer ein stures Kind, und ich habe dir vieles verzeihen müssen. Aber das, Caspar, das verzeihe ich dir nicht!«
    Auf dem Foto stehen meine Eltern nebeneinander vor dem Tor der Kirche, in deren Friedhof mein Vater jetzt begraben liegt. Sie sehen linkisch aus, wie schüchterne Halbwüchsige. Viel älter waren sie auch nicht. Beide sind sehr groß und dünn, meinem Vater reichen die dunklen Haare bis auf die Schultern, er hat einen Schnurrbart
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